Mittwoch der 3. Woche der Osterzeit, 18. April 2018
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Vielleicht haben Sie viel zu viel gesehen. Und wenn lauter 20-Jährige hier säßen, würde ich das „Vielleicht“ ersetzen durch ein: Ganz bestimmt habt Ihr zu viel gesehen, auf Euren smartphones. Auf dem Weg hierher wurden Sie beworfen mit Bildern und wenn Sie nach Hause kommen, bieten Ihnen das Fernsehen oder der Rechner noch einmal so viele Bilder. Vielleicht greifen Sie zu. Nehmen Sie noch alle Ausstellungen dazu, die Sie je gesehen haben und die Kinofilme und die Photoalben und die Illustrierten. Und alle Menschen, die Ihnen je begegnet sind. Sie sehen und sehen und sehen… Aber dann? Was kommt dann, nach dem Sehen? „Ihr habt gesehen, und doch glaubt ihr nicht.“ Vor 2000 Jahren hat Jesus das gesagt; wir hören es heute im Evangelium. Jesus hat das gesagt ins Gesicht derer, die vor ihm standen und ihn anschauten. „Ihr seht, aber ihr glaubt nicht!“ Ihr bleibt Beobachter, Bilder-Sammler, ungerührt, gierig. Es gibt einen Moment im Leben Jesu, der beleuchtet, um was es geht. Lukas berichtet ihn (22,61). „Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an.“ Und Petrus erinnerte sich. Er ging hinaus und weinte. Es heißt nicht: Jesus sah Petrus, Punkt. Es heißt: „Jesus blickte Petrus an.“ Das ist ein großer Unterschied. Sehen in die Tiefe. Das Ganze. Der Teufel sieht nur unsere Schuld. Jesus sieht das Ganze. Sehen allein bedeutet nicht viel mehr als registrieren, sammeln, vergleichen, einordnen. Ich sehe Sie, – folgen muss daraus gar nichts. Wenn aber das Sehen zum Wahrnehmen wird, dann ist da viel mehr: die Erinnerung an Ihre Geschichte, so weit ich sie weiß. Die Erkenntnis der Würde, die Ihnen zusteht. Ich sehe die Hoffnungen, die Sie mitbringen in die Malteserkirche. Ihre Müdigkeit vielleicht. Oder Ihre Kraft. Und wenn Sie einmal nicht da sein können, werde ich Sie dennoch sehen. Sie alle sagen mir, ohne Worte: Sehe mich nicht bloß – glaube an mich! Sogar jedes Kunstwerk in den Museen sagt mir: Schau mich nicht bloß an – glaube mich! Vom Sehen zum Glauben: Das ist der Auftrag (der mich an die Grenzen bringt). 33 Jahre lang, so zählt die Überlieferung, lebte Jesus auf dieser Erde. 33 Jahre lang war er sichtbar. Jesus wurde gesehen. Auf alle Arten. Der liebevolle Blick seiner Mutter, das Staunen und Glauben des hl. Joseph. Der Blick der anderen Kinder in Nazareth. Johannes, der ihn sieht und erkennt. Der allererste Blick der ersten Jünger. Der kritische und dann verächtliche Blick der Schriftgelehrten. Der Blick der Gaffer. So viele Gaffer, bei den Wundern und bei der Passion. Scharen von Männern und Frauen, die sehen, aber alles tun, um nicht glauben zu müssen. Die Kälte in ihren Blick legen, den Bildern verbieten, das Herz anzurühren. Drei Jahre lang lehrte Jesus. 30 Jahre lang war er nur zu sehen, nicht zu hören. Der Körper und Geist gewordene Gott, der sich unter den Menschen bewegte. Kamen schon damals welche vom Sehen zum Glauben? Ohne dass Jesus also gelehrt hätte? Lehren, die so oder ähnlich auch andere hätten aussprechen können oder sogar ausgesprochen haben. So viele Jahre war Jesus nur zu sehen: Maria brauchte seine Lehre gewiss nicht, um an ihn zu glauben. Ihr genügte es, ihn zu sehen. Gott wollte gesehen werden: Er wurde Mensch. Aber das Sehen allein reicht nicht. Es muss zum Glauben führen. Wo also sehen wir Jesus? Im Kunsthistorischen Museum? Auf den Bildern der Sr. Faustina? Im neuen Kinofilm? Bei den Visionenguckern? Die Kirche hört nicht auf, Jesus zu zeigen. Denn sie zeigt die Armen; sie ruft die Augenzeugen auf, in jeder Messe. Sie erhebt das Brot, in jeder Messe und ruft der Menschheit zu, immer und immer wieder: „Seht an das Lamm Gottes!“ Das alles ist so, weil Jesus so ist. Jesus sieht den Vater. Unablässig. Dieses Sehen zeigt uns, was Glaube bedeutet: Jesus sieht den Vater – und will nicht mehr seinen eigenen Willen tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat. Glaube, das ist: Beziehung. Unser Glaube beginnt im Sehen und gestaltet sich dann nach dem Bild der Beziehung zwischen Gottvater und Gottsohn. Authentische Kommunion. Wahre Liebe. Wahre Liebe ist: höchste Nähe, aber ohne Vermischung, ohne Übergriff. Wie zwischen Vater und Sohn, beide sehend, beide gesehen. Die Möglichkeit steht offen. Wir stehen im Ja oder im Nein. Nur gaffen, pardon, – oder glauben, Distanz – oder Beziehung. Das ist das Risiko Jesu, als Gott das Gesicht eines Menschen annahm. Jetzt muss Gott bitten. „Seht meine Hände und Füße an!“ (Lk 24) – und glaubt! Sehen. Hinschauen. Und vorstoßen zur Gegenwart Gottes in dem, was wir sehen. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.