Freitag der 29. Woche im Jahreskreis
Freitag der 29. Woche im Jahreskreis (Röm 7,18-25a) Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes „Ich weiß, dass in mir nichts Gutes wohnt“, sagt Paulus über sich selbst. So geht das fünf Bibel-Verse lang, 19 Zeilen in meinem Messbuch. Paulus macht es sich nicht leicht. Selber schuld, oder? Man kann der Meinung sein, der Mensch sei mehr oder weniger wie ein Automat. Was wir tun, sei das Ergebnis chemischer und gesellschaftlicher Prozesse. Wir seien in Wirklichkeit nicht frei, nicht autonom. Also auch nicht verantwortlich. Viele denken so. Die haben es leichter. Es gibt Leute, die behaupten, „Gut“ und „Böse“, das sei nicht mehr als ein Mix aus Bräuchen, Sitten und Absprachen. Mal sei halt dieses gut, mal jenes, je nach Zeit und Kultur. Leute, die so denken, müssen sich nicht mit Schuld und Unschuld herumschlagen. Sie haben es leichter. Das Problem, mit dem Paulus sich abmüht, die innere Zerrissenheit zwischen Gut und Böse, ist heute den meisten fremd. Die Leute fühlen sich „eh okay“. Sie gehorchen den Strukturen, in denen sie leben, Konventionen, Moden, der öffentlichen Meinung. Fertig. Die Leute sind unfähig, einmal Abstand zu sich selbst zu nehmen und zu fragen: Was treibe ich da eigentlich? Was geht in meinem Herzen vor? Die Leute finden, es sei alles gleich gut oder gleich schlecht. Die Hamás und die Juden, kein Unterschied. So wird das Leben leichter; kann man in aller Ruhe den 12er Chicken MgNuggets bestellen. Die Main-Post hat dieser Tage (24.10.) aus dem Heft einer christlich-evangelikalen Gruppe zitiert. Da heißt es: „Sünde gibt es überall. Wir erzählen Lügen und sind selbstsüchtig, gierig und boshaft.“ Also brauchen wir einen Erlöser. Jesus Christus. Ich habe keinerlei Sympathien für die evangelikalen Christen in den USA, aber hier haben sie Recht. Ich bin ganz sicher selbstsüchtig, auch gierig und bisweilen boshaft. Ich habe hin und wieder große Lust, Leuten Gemeinheiten zu sagen und ich bin gierig nach warmer Heizung und Vollmilch-Schokolade. Anders über mich zu denken, schiene mir einfach nur: dumm. Eine Theologie-Professorin in Würzburg findet aber, das sei ein „negatives Menschenbild“. Wie die sich wohl mit Paulus verstanden hätte? Und was sie wohl nach dem 7. Oktober in Israel und seither denkt? Denkt sie: alle Menschen sind gut? Jede Mutter weiß, dass ihr Kind ein wahrer Engel sein kann, so lieb, dass einem das Herz bricht. Aber halt auch ein Gangster. Wenn sie es nicht weiß, soll sie sich einmal informieren, wie die Kinder miteinander in den sozialen Medien umgehen… Um das alles geht es in der heutigen Lesung aus dem Römerbrief. Paulus sieht das Gute, aber auch das Schlechte. Zuallererst sieht er es in sich selbst. Er klagt ja nicht die anderen an, er erforscht sich selbst. Paulus ist nicht eins mit sich. Er ist zerrissen. Gespannt. Gestresst. Wenn man ihm sagen würde: Du musst dich so annehmen, wie du bist oder: du bist toll! – er würde nur traurig lächeln. Froh macht ihn der Blick in den Spiegel, sondern etwas anderes. „Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will“, schreibt er. Das ist realistisch. So sind wir. Hier sieht einer die Welt, wie sie ist. Genau das ist gemeint, wenn Jesus im Evangelium sagt: „Das Aussehen der Erde und des Himmels könnt ihr deuten. Warum könnt ihr dann die Zeichen dieser Zeit nicht deuten?“ (Lk 12,56). Wir sollen sehen, was ist, nicht, was wir gerne hätten. Das Ungute sehen, in sich und im anderen, ohne den anderen zu demütigen oder zu entmutigen, ohne sich über jemanden zu erheben: Das ist das Kunststück, das jedem Christen abverlangt wird. Also halten Sie nicht alles für neutral, gleich gültig. Denken Sie nicht: So bin ich halt. Nehmen Sie die Gegensätze wahr, die Spannungen, Schwächen, die Scham… Das alles ist nicht schlimm. Die Wahrheit ist nicht schlimm. So haben Sie den realistischen Blick. Und Sie haben die Vernunft. Sie haben das Gewissen. Sie haben die Religion. Sie können Gut und Böse erkennen. Das allein reicht aber nicht. Erkenntnis allein reicht nicht. Alle haben inzwischen erkannt, dass wir die Erde nicht bewahren können, ohne selbst Opfer zu bringen, – aber trotzdem fliegen alle in die Sonne und kaufen Klamotten, die von Kinder-Sklaven fabriziert wurden. Warum? Antwort: Es ist „leider geil“. Was ist die Rettung? Paulus weiß nur eine: Christus. Ohne die Kraft Christi bleiben Sie Gefangene. Wenn Sie aber an Christus glauben, wenn Sie den lebendigen Christus in Ihr Leben lassen (das ist der Sinn der Kommunion), wenn Sie den Heiligen Geist in Ihren Blick auf die Menschen lassen, in Ihre Vernunft, in Ihre Religion, dann werden sie frei, Schritt für Schritt. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören
Predigt in Oberndorf am 27. Oktober 2023