Dritte Woche der Fastenzeit, Montag, 8. März 2021
Dritte Woche der Fastenzeit, Montag, 8. März 2021 (Lesung vom Samstag derselben Woche) Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Allgemeine Überzeugung: Wenn die Kirche moderner wäre, also „von heute“, dann wären die Gottesdienste wieder voll. Von heute sein, ist gar nicht schwer: Zölibat abschaffen, Frauen an die Altäre, Missbrauchsfälle schonungslos aufklären, Bischöfe vom Volk wählen lassen, fertig. Ich persönlich meine, es wäre schon viel gewonnen, wenn 80 % der Priester zweimal im Jahr ins Kino gingen, mal ein Buch läsen, wüssten, wer Beyoncé und Billy Eilish sind (sie müssen die ja nicht mögen) und wie man sich normal anzieht. Wenn sie einfach mal ein Bier trinken gehen würden. Aber Männer, die das tun, die werden ja gar nicht Priester. Was den Rest der Modernisierung angeht, bin ich allerdings skeptisch. Es gibt einen Grundkonflikt, der gar nicht zu heilen ist, durch keine Modernisierung der Kirche. Am Ende bleibt immer die sehr unmoderne Grundfrage: Bekehrung, ja oder nein? Glaube an Gott, ja oder nein? Das Evangelium von heute illustriert diesen Konflikt. Der Pharisäer ist der moderne Mann. Der selbstbewusste Mann. Der Mann, der sich ganz vorne hinstellt. In seinem dunkelblauen Slim-fit-Anzug. – Dürfte man am Weltfrauentag auch sagen: „… die Frau, die sich ganz vorne hinstellt“? Oder wäre das anachronistisch? Lösen wir das Problem einfach so: Die moderne Welt, das ist der Mensch, der keine Gewissensbisse hat, weil „shit happens“, weil „machen ja alle“. Der Mensch, der sich hinstellt und sagt: Ich danke dir, weil ich nicht bin wie die loser, die Opfer, die Bescheidenen, die Zweifelnden. Der Pharisäer da vorne ist der moderne westliche Erfolgsmann. Und der Zöllner? Der Zöllner ist bloß der arme Sünder. Also der Mann Gottes. Das ist der Grundkonflikt. Sie sehen: Mit dem Frauenpriestertum und der Absetzung des Kölner Kardinals ist es nicht getan. Nie, niemals kann die Kirche hergehen und den Pharisäer als Modell hinstellen, und den Zöllner als abschreckendes Beispiel. Das aber müsste sie tun, um modern zu sein. Der Konflikt zwischen der Kirche und der modernen Welt ist unheilbar und unaufgebbar. Gewissen – kein Gewissen: Das ist die Grundfrage. Anders gesagt: Bitte um Gnade – der Zöllner – oder die Überzeugung: Gnade ist nicht nötig – der Pharisäer. Wer bittet Gott um Gnade? Sie? Meine Firmlinge jedenfalls nicht. Ihre Eltern auch nicht. Bitten ist nicht modern. Gnade ist Hä? Der Zöllner hat ein Gewissen („Pech für ihn“, sagt die Leiterin der erfolgreichen Abteilung), der Pharisäer hat keines. Sehr einfach. Denn ein Gewissen, das immer gut ist, ist keines. Was ist das Gewissen? Das Gewissen ist die Stimme Gottes in uns, lehrt die Kirche. Also nicht die Konventionen um uns herum, nicht die Kultur, nicht die Autorität der Eltern, der Lehrer oder des Staates und auch nicht das Bauchgefühl. Das Gewissen ist die Stimme eines anderen in mir. Wie kann einer annehmen, die Stimme Gottes wüsste nie etwas anderes zu sagen als „Du bist toll!“ Gott ist doch die Wahrheit. Gott fragt. Gott regt an. Zum Guten. Gott weiß, dass wir irren. Gott liebt. Das Gewissen ist also ein Gespräch, keine Daueraffirmation. Diese Gesellschaft blockiert moralisch, weil es nur noch diese Alternative gibt: wütende Affirmation oder nihilistisches Achselzucken. Man stellt sich Herausforderungen, „challenges“, man will aufsteigen, sich beweisen. Aber sich einfach sanft in Frage stellen lassen, das will man nicht. Einen Grundkonsens haben moderne Kirche und Gesellschaft noch: Du darfst dem anderen kein schlechtes Gewissen machen. Doch schlechtes Gewissen bedeutet nicht: Ich bin ein schlechter, verachtenswerter Mensch, sondern einfach: Ich habe etwas falsch gemacht. Ich muss etwas ändern. Was soll daran schlimm sein? Ist das nicht das „aus Fehlern lernen“, von dem in jedem Seminar gerührt berichtet wird? Vom Beruf bis zur Küche sind neue Erkenntnisse der letzte Schrei. Aber im Religiösen darf kein Lern-Prozess gefordert werden. Weil Gott ja jeden liebt, wie er ist. – Ohne das schlechte Gewissen geschieht: gar nichts. Ein Beispiel: Alle Gebote der Schrift, alle Gesetze der Kirche, die gesamte Tradition sagen: Du sollst am Sonntag zusammen mit den anderen die Messe feiern. Jeden Sonntag. Wenn Du krank bist, wenn du zur Arbeit musst, wenn die Kirche zu weit weg ist, wenn du bei deinen kleinen Kindern sein musst, dann bist du von diesem Gesetz ausgenommen. Sonst nicht. Die Katholiken wissen das. Und dann fangen sie an zu vergessen. Vergessen, nicht nachdenken, keine Fragen stellen: Das ist die Grundbedingung katholischer Existenz geworden. Die Leute machen die erste Ausnahme. Dann noch eine. Sie schauen um sich herum und denken sich: Die anderen gehen auch nicht. „Meine Eltern gehen auch nicht“, sagt der Firmling. Wie recht er hat! Und dann war der faule Sonntag vor der Glotze so herrlich! Das Tennis-Match diente dem Networking und das Nordic-Walking dem Kampf gegen die Cellulite. Die Stunde in der kalten Kirche diente wem? All das nehmen die Katholiken zusammen und fügen dann noch eines hinzu: Den Verzicht aufs Nachdenken. Das eigene Tun erst gar nicht mehr in Frage stellen. Nicht mehr fragen: Was soll ich tun? Und irgendwann ist das Gewissen ruhig. Es ist tot. Und alles bleibt, wie es ist. Die Eltern gehen nicht in die Messe, die Kinder gehen nicht in die Messe, und alle beklagen den Untergang des christlichen Abendlandes. Der Pharisäer hat gar kein Gewissen. Er hat nur einen Leistungskatalog. Der Zöllner hat ein schlechtes Gewissen. „Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht.“ Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören
(Lesung vom Samstag derselben Woche)