Montag der 4. Woche im Jahreskreis, 1. Februar 2021
Montag der 4. Woche im Jahreskreis, 1. Februar 2021 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes In einem Haus wohnten zwei Brüder. Sie waren katholisch getauft worden, waren dann stramme Nazis (und sind es immer geblieben); sie hatten ihr Auskommen, waren nie krank, sprachen ihr Leben lang schlecht über den Glauben, wurden sehr alt und starben einen friedlichen Tod. Im anderen Haus wohnt eine Familie. Treue Katholiken, die ihr Leben lang viel arbeiteten, am Sonntag zur Kirche kamen und nun seit Jahren von Krankheit und Unglück verfolgt werden. Auf welcher Seite steht Gott eigentlich? Die Frage quält. Vielleicht quält sie weniger, wenn Sie wissen: Diese Frage ist uralt. „Wahrhaftig, so sind die Frevler: immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum.“ Das steht im 73. Psalm. Die Psalmen sind etwa 2500 Jahre alt. Eine uralte Frage also. Das aber bedeutet doch: Viele, viele Menschen haben sie gestellt. Wer fragt: Auf welcher Seite steht Gott eigentlich? der ist nicht allein. Ich bin nicht verrückt und kein Schuft, wenn ich frage: Was tut Gott für die Guten? Die Guten, die Gerechten: „notleidend, bedrängt, misshandelt“, sagt der Hebräerbrief. „Sie, deren die Welt nicht wert war, irrten umher in Wüsten…“ In den Wüsten des Lebens, dort, wo das Leben schwer wird. „Doch sie alle“, heißt es da weiter, „haben das Verheißene nicht erlangt.“ Diese guten Menschen haben keinen Lohn bekommen. Die große Enttäuschung. Das Scheitern der Religion. Gott hilft den Gerechten nicht. – Tröstet Sie der Hinweis, dass er auch seinem eigenen Sohn nicht geholfen hat? Bekehrt Sie der Hinweis auf die Auferstehung? Sie wissen nur: Jesus ist gestorben. Dass er auferstanden ist, das glauben Sie. Nein, wer glaubt, kennt keinen flinken Trick, mit dem alles leicht und sonnig wird. „Das Virus macht endgültig deutlich, wie nutzlos die Kirchen mittlerweile geworden sind“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung dieser Tage. „Religiös Hilfreiches zur Bewältigung der Krise war von ihnen nicht zu hören. Gleich zu Beginn der Pandemie haben es die Bischöfe auf den Punkt gebracht: Gott habe mit Covid-19 nichts zu tun. Damit schossen sie sich selbst aus allen Debatten zur Bewältigung der Krise raus.“ Eine bittere Analyse, nicht wahr? Die große Mehrheit der Menschen braucht keinen Glauben und auch keine Kirche, um durch die Krise zu kommen. Den meisten reichen Optimismus, Selbstwertgefühl, gute Freunde; so bestehen sie diese Monate. Es braucht keinen Glauben mehr, um Lebenskrisen zu bewältigen. Es braucht ihn auch nicht um zu sterben. Und es braucht die Kirche nicht mehr, um den Staat zu stützen, was jahrhundertelang ihre Aufgabe war. Die Kirche hat die Bildung bewahrt und vermittelt, sie hat die Kunst inspiriert, sie hat den Menschen große Momente beschert das ganze Kirchenjahr über, sie hat für die Kranken und Armen gesorgt. Alles das muss sie nicht mehr. Das tun jetzt der Staat, die Medien, Hollywood, der FC-Bayern. Jeder Rockstar bringt mehr Menschen in jubelndes Glück als alle Pfarren Wiens zusammen. Die Kirche wird von Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft nicht mehr gefragt. Die Religion löst keine Probleme in der Welt. Gottes Vergebung für unsere Sünden? Die braucht ja nur der, der sich vor Gott schuldig fühlt. Den meisten Menschen reicht ein bisschen Nachsicht mit sich und den anderen. Konfessionslos glücklich sein? Das kann jeder. Die Religion wird nutzlos. Und frei. Das, was der Kirche in der Geschichte zugewachsen ist, fällt jetzt weg. Fällt damit die Kirche selbst? Oder wird jetzt klar, worin die Substanz des Christentums wirklich besteht? Vielleicht beginnt der Denkfehler dort, wo ich meine: Ich bin anständig, dafür wird Gott mich beschützen und belohnen. Wo ich also anfange, einen Deal mit Gott zu machen. Wer liebt, dealt nicht. Vielleicht beginnt der Fehler dort, wo es Absichten gibt und wo eine Nützlichkeit bewiesen werden muss. Eine Kathedrale hat keine Absicht, und ein Lied ist nicht nützlich. Gottes Gnade ist völlig umsonst. Man braucht sie nicht, um hier zurechtzukommen. Beweis: die glücklichen Sünder. Wozu also der Glaube? Für Gott. Das ist das Erste. Wir glauben um Gottes willen, nicht weil es sich gehört, nicht, weil es sich „lohnt“. Dann: Der Glaube ist die Chance, die Welt von außen zu betrachten; das, was in der Welt so superwichtig ist, zu relativieren: die Gewinnsteigerung, die Männlichkeit, das Ego. Alles das muss nicht das letzte Wort sein: Das sagt mir der Glaube. Wer nicht glaubt, muss die Welt so hinnehmen, wie sie ist. Ich will das nicht. Vielleicht ist die Kirche näher an der Kunst als am Markt. Näher bei der Schönheit als bei der Lebensberatung. Auch die Kunst ist nicht dazu da, das Bestehende zu illustrieren und zu bestätigen. Die Kunst schenkt neue Perspektiven. Kann das die Kirche nicht auch? Besser, weiter? „Weil Gott erst für uns etwas Besseres vorgesehen hatte; denn sie sollten nicht ohne uns vollendet werden.“ In diesem Wort aus der Lesung geht noch ein anderes auf: Der Glaube schafft Gemeinschaft, wo vorher keine war. Der Gerechte, der viel leidet, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er verzweifelt und gibt auf, wendet sich enttäuscht von Gott ab. Und bleibt allein. Oder aber ihm geht auf, dass er für andere leidet. Dass er um der anderen willen Glaube, Liebe und Hoffnung nicht verlieren darf. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören