Montag 11. Woche im Jahreskreis, 15. Juni 2020
Montag 11. Woche im Jahreskreis, 15. Juni 2020 (Lesungen vom Dienstag der 11. Woche) Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Unlösbar Die Sonne geht auf über Bösen und Guten, der Regen fällt auf Gerechte und Ungerechte. Und währenddessen? „Christus liegt im Todeskampf bis ans Ende der Zeit.“ Blaise Pascal hat das gesagt. Christus ist aber „das Haupt des Leibes.“ Lehre des Apostels Paulus. Der Leib Christi aber ist die Kirche, die die ganze Menschheit umfasst. Wo immer Menschen leiden, leidet also auch Christus. Jesus liegt in Agonie bis zum Ende der Welt, die Sonne scheint über Bösen und Guten. Alles ist gleichzeitig. Die Lesung verheißt uns (denn das ist ja eine Verheißung) Rache an den Bösen. Gerechtigkeit. Das Evangelium sagt: „Liebt eure Feinde.“ Dieses Wort steht über allen Worten des Alten Testamentes, denn Jesus ist die Vollendung. Was wird nun aus dem Unrecht und denen, die Unrecht tun? Was wird aus der Verantwortung? Jesus spricht von der Feindesliebe und vom Gericht über die Lebenden und die Toten. Diese Messe führt uns in eine verstörende Gleichzeitigkeit. Rache und Liebe Gottes. Unsere Sehnsucht nach Gerechtigkeit und die Feindesliebe. Ihr Schmerz und das Glück des Nachbarn, das Leiden der Menschen und Ihre eigene, private Zufriedenheit, der Mensch: Angeklagter und Ankläger. Lange Zeit stand der Mensch schuldig vor Gott, und Jesus war sein Verteidiger. Jesus, der Frieden stiftet. Heute ist Gott der Schuldige. Gott ist schuld am Leid der Welt. Nicht mehr der Mensch braucht einen Verteidiger, sondern Gott. Die Lesung hören wir nicht mehr mit angstvoller Genugtuung – Gott bestraft die Bösen –, sondern mit sprungbereiter Empörung: Was ist das für ein Gott? Was ist das für ein Buch, diese Bibel? Nichts als Mord, Rache, Gewalt, Blut. Wie können wir Gott verteidigen? Gott kann nicht verteidigt werden. Menschen können nicht Gott verteidigen. Die Sonne wird aufgehen und untergehen über unserem Entsetzen und Fragen. Wir können fragen und manchmal verstehen. Einen Schritt weiter. – „Erst in den Tagen seines Sohnes werde ich das Unheil über sein Haus bringen.“ So endet die Lesung. Was offenkundig als gutes Ende gedacht ist, entsetzt uns. Was kann der Sohn für die Schuld des Vaters? Wenn es uns schon schwerfällt einzusehen, dass Fabrikarbeiterinnen in Indien, Migranten an den Stadträndern, Hater in Internet etwas mit uns hier zu tun haben, dann wird es erst recht schwierig, das Denken der Bibel zu verstehen. Wir leben als Individuen, Einzelne, allein verantwortlich, wenn überhaupt. Die Menschen der Bibel können sich nicht denken ohne Familie, Vorfahren, ohne ihr Land. Das Tun des Vaters betrifft den Sohn. Ist das wirklich so absurd? Bedenken Sie, was Ihre Vorfahren Ihnen mitgegeben haben: Erbgut, Erfahrungen, Sprache, Anekdoten, Eigenheiten. Aber keine Schuld? Da war z. B. eine Generation, die nicht sprechen konnte oder wollte: unserer Väter und Großväter. Ist diese Sprachlosigkeit ohne Wirkung auf uns geblieben? Welche Zerstörung hat sie angerichtet! Wie viel hat es gebraucht, bis wir endlich reden konnten, anders als unsere Eltern. Was lernen Kinder von ihren Eltern? Viel Gutes, natürlich, aber auch den ersten bösen Blick… Keiner beginnt bei Null. Wir tragen Verantwortung über uns hinaus. Gemeinschaft also. Und Gerechtigkeit. Ahab und Isebel waren Verbrecher. Wie soll Gott mit der Bosheit umgehen? Soll er strafen? Rächen? Vergeben? Wie hätten Sie es am liebsten? Und wie hätten es die Opfer gerne? Sie hier sind keine Opfer des Verbrecherpaares; Sie sind nur Beobachter, aus kommoder Distanz. Aber Nabot, das Opfer der beiden? Seine Freunde, seine Familie? Was wünschen sich die Opfer? Dürfen wir einfach von anderen verlangen, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit aufzugeben? Sollen die Juden endlich Ruhe geben und die Schwarzen in ihren Häusern bleiben? Wir haben leicht reden. Sollen die Opfer Hitlers freundlich nicken, wenn ihr Mörder in den Himmel einzieht und neben ihnen Platz nimmt? Denn das wird er tun, wenn er bereut. Die Reue öffnet den Himmel, jedem. Keiner, kein einziger ist von der Vergebung Gottes ausgeschlossen. Vergebung wird sein. Und Gerechtigkeit. Wenn die Schuldigen, die bereut haben, auch gebüßt haben, werden sie in den Himmel einziehen: Das ist der Sinn des Fegfeuers (Läuterung). Zur Gerechtigkeit gehört die Wiedergutmachung. Das ist der Sinn der Buße. Und wir hier? Sind auf dem Weg zum Gericht. Bis dahin ziehen wir durch diese Welt. Wir wissen: Die Menschenrechte wurden nicht gegeben, sondern erobert. Die Nazis wurden mit Gewalt besiegt. Wenn Feindesliebe allein die Lösung wäre, bräuchte man den Schwarzen in Amerika nur sagen: Liebt eure Feinde, wehrt euch nicht. Wenn Feindesliebe allein reichen würde, bräuchte es das Leiden Christi nicht. Jesus aber trägt das Kreuz bis ans Ende der Welt. Wir können tragen helfen, dem Herrn und denen, die ihm nachfolgen müssen, einander. Das ist der Platz des Ordens und aller Christen: in der Welt und beim Kreuz, im Widerstand, in der Verantwortung und in der Hilflosigkeit, allein und in Gemeinschaft, anklagend und angeklagt, fragend und entsetzt solange die Sonne aufgeht über Bösen und Guten. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören