Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Epiphanie 2019

06/01/2020 


Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

Die Geschichte ist so bekannt, so schön, dass die Kinder sie nachspielen. Und die Erwachsenen denken sich: „Ach, die Kinder… Es ist doch nur ein Märchen.“

Das Evangelium von den Sterndeutern ist kein Dokumentarfilm und kein Polizei-Bericht, stimmt. Aber ist es deswegen ein Märchen? Was ist das, das Sie da eben gehört haben und das unsere Kinder gestern nachgespielt haben als Sternsinger? Man kann jetzt hergehen und die Fantasie spielen lassen: Wie hießen sie? Waren es drei oder mehr? – Das Evangelium nennt ja keine Namen und keine Zahl. Oder man kann wie ein Wissenschaftler alte Dokumente vergleichen und fragen nach Kometen und Sternen in jener Zeit. Man kann die Bibel lesen wie ein Forscher oder wie ein Jurist, mit einem ganz genauen Blick auf einzelne Wörter und Sätze. Dann muss man z. B. sagen: „Wer nicht getauft ist, kann nicht in den Himmel kommen, da steht es, wortwörtlich!“ Oder man nimmt das Ganze in den Blick. Das Alte und das Neue Testament zusammen, den ganzen Jesus und nicht nur ein einzelnes Wort von ihm. Oder man schaut auf die ersten Christen, die all das überliefert haben. Wie haben sie es verstanden? Die ersten Christen erleben ja Folgendes: Die Heiden, die fremden Völker rund um das Mittelmeer kommen und wollen zu ihnen gehören. Die Heiden wollen unbedingt Christen werden. Es kommen begabte Männer und Frauen, gelehrte Leute, junge Leute, einfache Leute und reiche, immer mehr. Was war da los?

Da die allerersten Christen Juden waren, kannten sie das Alte Testament. Sie kannten den Propheten Isaias, das, was Sie eben in der ersten Lesung gehört haben. Sie wussten es auswendig. Und jetzt fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: „Nationen wallen hin zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Erheb deine Augen ringsum und sieh: Sie alle… kommen zu dir.“ Der Prophet hatte in einer Vision gesehen: die Endzeit, das Volk Gottes, Menschen, die so leben, wie Gott es gedacht hat. Und zu diesem Volk Gottes strömen jetzt die andern Völker. Die Völker der Welt leben in Chaos und Ratslosigkeit. Jetzt kommen sie nach Jerusalem, um den Willen Gottes kennenzulernen; sie lernen, die Waffen wegzulegen. Die Welt findet endlich Frieden, weil die Nationen sich aufmachen, um die Weisung Gottes zu hören. Das alles hatte der Prophet gesehen. Und jetzt erkennen die ersten Christen: Die Verheißung erfüllt sich! Die Völker kommen tatsächlich. Zu uns! Die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland handelt also von dem Wunder, von dem die junge Kirche selbst total überrascht war: Dass plötzlich die Heiden in die Kirche strömen, getrieben von der Sehnsucht nach dem Messias, nach Frieden.

Diese Prophezeiungen, Erzählungen und Ereignisse werden uns heute wieder vor Augen gestellt, und wir können nicht sagen: Das ist lange her, vorbei. Nein, wir verstehen unsere Aufgabe. Sie ist nicht beliebig, nicht privat. Sie macht Weltgeschichte. Gott braucht einen Ort in der Welt, wo Menschen so leben, wie er es sich wünscht. Damit die ganze Welt sehen kann, wie das geht; dass das möglich ist. Dieser Ort soll die Kirche sein. Alle Menschen sollen an Ihnen sehen können: Es geht.

Gott achtet ja die Freiheit des Menschen und der Völker. Er kann also nicht mehr tun, als den Völkern zu zeigen: Es geht. Und dazu hat er die Christen bestimmt. Wir können so leben, dass die anderen unbedingt dazugehören wollen zur neuen Geschichte, die die Welt verändert.

Der Evangelist erkennt, dass die Sterndeuter, die dem Kind huldigen, eine Vorankündigung sind. An der Krippe deutet sich an, was dann nach Ostern endgültig beginnt: Die Heiden kommen zu Christus und seiner Kirche. Fällt Ihnen auf, dass das Evangelium beginnt mit den Weisen und endet mit dem Auftrag: „Geht zu allen Menschen…“?

Jesus hat genau den Frieden gelehrt und gelebt, den Isaias vorausgesehen hatte. Jesus ist also die Erfüllung der Prophezeiung. Nun kommen die Heiden zum Zion. Sie finden in den Gemeinden der Christen, was sie lange gesucht haben. Die Heiden wollen zur Kirche gehören, weil sie angezogen werden vom neuen Leben der Christen, das sich so deutlich vom Leben der anderen unterscheidet. – Verstehen Sie jetzt, dass wir so leben müssten, dass die anderen unbedingt dazugehören wollen? Und verstehen Sie, was es bedeutet, das zu verhindern durch Nicht-mittun oder noch schlimmer durch das Verderben einer Pfarre oder eines Ordens?

Die frühen Christen sind überzeugt: Die Vision des Propheten hat sich noch nicht in der ganzen Welt erfüllt. Aber bei uns, in den christlichen Gemeinden, die nach der Lehre Jesu leben, da fängt es an. Welch ein Bewusstsein müssen diese Christen gehabt haben! Das Bewusstsein, etwas ganz Neues zu sein. Sie waren stolz! – Und wir? Sind bescheiden im schlechten Sinn. Wir haben längst die Hoffnung verloren und verbannen Jesus und seine Lehre in irgendeinen fernen Himmel, statt die Welt zu verändern.

Die Erzählung von den Weisen, die zum Kind kommen, ist die Vision einer Kirche, in der sich alles sammelt, was in dieser Welt kostbar ist. Die Völker bringen ihren ganzen Reichtum. Die Kirche ist also keine geschlossene Gesellschaft. Die Tore dieser Stadt stehen Tag und Nacht offen. Die Völker sind fasziniert von Leben des Gottesvolkes. Sie wollen es sehen, wie es möglich ist, dass Menschen leben in Frieden untereinander und mit Gott. Jerusalem wird zum Licht der Welt werden. Jerusalem ist hier.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

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