18. Sonntag im Jahreskreis – 4. August 2019
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Vielleicht wäre es leichter, nur in der Gegenwart zu leben. Ohne viele Gedanken an morgen oder gestern. Es gibt Menschen, die können das; sie leben nur jetzt. Vielleicht wäre es leichter, das Leben so zu nehmen, wie es ist. Ferien beginnen, Ferien enden, so ist das Leben. Das Leben ist mal schön, mal traurig und einmal muss geschieden sein. Es gibt Leute, die können es nehmen, wie es kommt. Blöderweise gibt es aber auch Menschen, die es schwerer haben. Für sie ist der Himmel am ersten Ferientag ganz klar, strahlend blau. Aber halt, dort hinten: ein winziges Wölkchen. Und ist die Luft nicht irgendwie, ganz leicht drückend? Der Tag wird also nicht so schön bleiben; es wird Gewitter geben, es wird sich einregnen. Und dann werden die Ferien zu Ende sein. Und wie viele Sommer haben wir schon im Leben? Menschen, die es so sehen, sind vielleicht einfach ungezogene Pessimisten, die ihre Stimmungen nicht im Griff haben. Denn das Glück kommt tatsächlich aus dem Denken. Zum Glück braucht es Denk-Disziplin. Haltung. Vielleicht sind die, die so denken, aber auch Menschen, die immerzu sehen müssen. Denen Gott die Gabe des Sehens verliehen hat. Eine fürchterliche Gabe. Der, der die Lesung geschrieben hat, wird auch so einer gewesen sein: „Alles ist nur ein Hauch. Windhauch.“ Der Mann im Evangelium mit seiner Ernte und seinen Vorräten und Essen und Trinken sieht nicht weit, will nicht weit sehen, wird nie weit sehen. Bis es einschlägt. Er sieht nur sich und seine Scheune und ein paar Jahre Leben. Er sieht keine anderen, er sieht keine Welt, keinen Gott. Aber was wir nicht sehen, ist dennoch da. Und irgendwann werden wir auf das treffen, was wir nicht sehen wollten. Das Gespinst, das wir gewoben haben, zerreißt („das Gespinst seines Geistes, für das er arbeitet“ – Koh 2,22). Es wird kühl, es wird klar, wir erschrecken. Wir sind frei. Endlich verstehen wir. Der Mann will nicht sehen, dass alles vergeht. Was vergeht, dem trauen wir nicht. Keiner setzt sein Vertrauen in einen One-Night-Stand oder in einen Lotto-Schein. Allenfalls ein bisschen Hoffnung, aber doch kein Vertrauen! Wir suchen, was nicht vergeht. Dann klammern wir, halten fest mit aller Kraft. Oder denken Sie an eine glückliche Beziehung, ein Kunstwerk, schöne Tage: Keiner wünscht sich doch, das möge ein Ende haben. Bleiben soll es. Es soll dauern. Weil wir dauern wollen. Also, wie sehen Sie das? Werden Sie bleiben? Ich meine: Sie, nicht etwas von Ihnen, eine „Energie“, Spuren im Erdreich und im Wasser, sondern Sie? Werden Sie bleiben? Wollen Sie bleiben, für immer? Oder ist irgendwann alles aus, auch Sie, und gut so? Sind wir Windhauch, und ist alles um uns herum Windhauch? Die Lesung erinnert uns an das, was wir verdrängen, mit allen Kräften: an das Vergehen. – Hier in Wien muss man da fast zitieren aus dem „Rosenkavalier“: „Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie… In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie… Lautlos, wie eine Sanduhr.“ Der Windhauch, das Vergehen: Sie wollen ’s nicht hören. Sie wissen es und wollen es nicht hören. Es ist richtig, dass Sie verdrängen. Das Entsetzen ist richtig. Und falsch zugleich. Weil es verblendet. – Die Kirche ist einfach nicht der Ort fürs Schönreden des Lebens. Man darf sich fürchten, aber wegschauen, das geht nicht. Was wird aus mir? Gibt es etwas, das bleibt? Das ist die Frage dieses Abends. Und nun überlegen Sie: Kann ein Mensch vergehen, den Gott gewollt hat? Der ewige, unwandelbare, vollkommene Gott widerruft nicht. Gott denkt nicht einmal so, einmal so, tut nicht heute dies, morgen das. Gott korrigiert sich nicht. Gott hat Sie gewollt und Sie und Sie. Deshalb werden Sie bleiben. Immer. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Was bedeutet da all das Vergehen? Es bedeutet: Gott löst uns. Manchmal zärtlich wie ein Hauch, manchmal brutal. Gott löst uns los, damit wir lernen, was wirklich bleibt: Er und wir. – „Wir“, das sind nicht unsere Häuser, Weinberge, Bücher, Autos, Beziehungen, das ist nicht unser Alter, nicht unser Verstand, nicht unser Glaube. Wir, das sind nur: wir, ohne alle Zutat. Wir sollen sein. Das ist alles. Das ist Liebe. Die Begierde sagt: „Ich will dich!“ Die Liebe hingegen sagt: „Sei!“ Es gibt ein Wort des Herrn an Katharina von Siena. Es ist verstörend, kann aber in die richtige Richtung führen. Sie hört, wie Christus ihr sagt. „Du bist die, die nicht ist. Ich bin der, der ist.“ Versuchen Sie, dieses Wort anzunehmen, für sich. Und Sie werden merken: Es wird leicht. Es ist wahr. Wenn ich überhaupt bin, dann in Gott. Nicht aus mir selbst heraus. So kann das Vergehen der Dinge und Erfahrungen mir gar nichts anhaben. Es gibt in dieser Welt eigentlich nur zwei Gruppen von Menschen: die, die sagen: Da ist kein Halt, nirgends. Also leben so gut es geht, zack, aus. Und die, die sagen: Da ist vielleicht ein Halt, ein einziger. Gott. Wenn es etwas gibt, das nicht vergeht, dann Gott. Und weil ich zu Gott gehöre, vergehe auch ich nicht. Der Glaube ist kein Halt. Aber eine Hoffnung. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.