Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Kirchweihfest des Stephansdomes, 29. April 2019

29/04/2019 


Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

Tränen. Ich habe geweint, heute vor zwei Wochen: Notre-Dame in Flammen, der Dom von Paris. Der Dom Frankreichs. Es gab viele Tränen an diesem Tag, ich war nicht allein. Aber warum war das so? Ich traue meinen Tränen nicht.

Wir feiern heute den Dom Österreichs: den Weihetag von St. Stephan im April des Jahres 1340. Viele hier würden um den Stephansdom weinen. Nur in Wien? Nur in Österreich? Würde man in Paris weinen um den Stephansdom? Würden Sie um den Dom von Salzburg weinen? Um das Schloss Schönbrunn? Um die Nationalbibliothek? Warum weinen wir um das eine, aber nicht um das andere? Die Geschichte allein ist es offenbar nicht. Nicht jede Geschichte rührt die Herzen. Was ist das um die Dome? Nicht um alle, aber den von St. Stephan gewiss. Warum weinen wir um Mauern? Weil wir ohne sie in der Kälte stehen? Im Sturm der Zeit?

Es ist das Alter. Man weint nicht um neue Mauern: Sie hüten noch nichts. Keine Erinnerungen.

Ich bin meine Erinnerungen, Sie sind Ihre Erinnerungen, Österreich ist in seinen Erinnerungen, – um so mehr, als es keine Träume mehr hat. Die Dome sind das längst Gegebene. Sie scheinen keine Anstrengung mehr zu fordern. Sie werden immer leichter mit der Zeit. Von Mauern werden sie zu Ideen. Der Dom ist die Idee Österreichs. Und doch ist die Idee nicht ohne den Stein.

Vielleicht weinen die Menschen aus Scham. Notre-Dame ist (viel mehr als St.-Stephan) auch ein Schandmal. Wer diese Kathedrale sieht, sieht auch die Bartholomäus-Nacht; er sieht die „Göttin der Vernunft“ auf dem Altar sitzen. Sogar die steinernen Könige der Kathedrale will sie enthaupten. Er sieht den Papst, der von einem General gezwungen wird, ihm die Krone zu reichen. Was haben Menschen Notre-Dame angetan! Haben wir Scham vor den Domen und Kirchen, weil wir sie den Horden öffnen, die das Heilige niedertrampeln, niederschwatzen, niederphotographieren?

Die Tränen sind auch Tränen des Stolzes: Dieses Bauwerk haben wir geschaffen! Der Dom ist die Nation selbst, der Stephansdom ebenso wie Notre-Dame. Doch die Nation ist nicht nur Kunst und Handwerk, Mathematik und Politik. Die Nation, die den Stephansdom über diesen Platz gewölbt und getürmt hat, ist auch Glaube. Ist Glaube oder war Glaube? Solange wir die Kirchweihe feiern, ist da Glaube.

Es sind Tränen der Dankbarkeit. Für die Heimat, die wir haben. So viele haben keine Heimat mehr, keinen Dom, zu dem sie aufschauen könnten. Worum weinen die? Um ein schäbiges Haus, das sie lassen müssen? Wo weinen die? In einem Boot auf dem Meer?

Warum die Tränen, wenn eine Kathedrale brennt? Das war die Frage. Antwort: Es ist die Weihe. – Ein Mord nimmt die Weihe weg, Zerstörung nicht. Notre-Dame ist auch in diesem Moment eine Gott geweihte Kirche. Das Opfer der Messe dauert an in den verkohlten Mauern.

Machen Sie aus einem Dom ein Museum, – keiner wird mehr weinen. Machen Sie aus den geweihten Priestern Pastoren, machen Sie aus den gesalbten Königen Funktionäre, aus Ehen Partnerschaften: Die Tränen werden versiegen. Um Zwecke und Zinsen weint keiner.

Doch wir müssen hinter die Tränen. Die Liturgie ist wie die Theologie, aus der sie kommt, Ordnung, nicht Gefühl. Der Gottesdienst – und seinetwegen allein gibt es diese Dome – ist Frage des Menschen und göttliche Antwort. Klarheit des Auferstandenen. Klarheit, nicht Tränen. Tränen erlösen nicht.

Das heutige Fest stellt uns auf den Boden. Ein geweihter Bischof, einer, der in der Reihe steht, die von den Aposteln heraufkommt, spricht ein Gebet. Ein vor-geschriebenes Gebet. Er salbt den Stein, und der Ort wird: heilig. Verwandelt. Unsere Dome sind Wandlungsorte. Jede geweihte Kirche verwandelt: unsere Ideen, Brot und Wein, unsere Seelen. Die Dome verwandeln Menschen.

Sie kennen alle das Bild der brennenden Kathedrale, das Feuer vor dem grauen Himmel der Hauptstadt. Sie kennen auch das erste Bild aus ihrem Inneren, das Erste, was die Feuerwehrleute sahen, als sie durch das große Portal traten: Nacht, – in der das Kreuz golden leuchtet. Es gibt auch das dritte Bild: der Boden bedeckt mit verkohlten Balken und Schutt, darüber das zerrissene Gewölbe – und der offene Himmel.

Vielleicht braucht es solche Bilder, um uns neu zu lehren: Gottesdienst ist Öffnung, Durchbruch. Der Auferstanden tritt durch Mauern und verschlossene Türen. Die Feier der Messe ist Öffnung. Im Schuldbekenntnis am Anfang der Messe öffnen wir uns der Wahrheit über uns selbst. Das Gloria: Öffnung zum Himmel hinauf. Die Lesungen: Öffnung zur Geschichte, in der die Offenbarung Gottes geschieht. Das Ziel all dessen: die Öffnung hin zum Vater. Gemeinsam, wir alle, die ganze Kirche öffnet sich auf den Vater hin. Durch Christus, mit ihm, in ihm.

Deswegen stehen die Tore der Kirchen offen.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

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