Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Dienstag der 11. Woche im Jahreskreis, 19. Juni 2018 (gehalten am 18. Juni)

19/06/2018 


Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

Christus liegt im Todeskampf bis ans Ende der Zeit: Blaise Pascal hat das gesagt. Und Paulus: Jesus ist das Haupt des Leibes. Das Haupt leidet die Schmerzen des Leibes. Der Leib aber ist die Menschheitskirche. Wo immer Menschen geschändet werden, vom Leben, von anderen, leiden also nicht nur sie, sondern auch Christus. Jesus liegt in Agonie bis zum Ende dieser Welt: in den anderen.

Noch etwas dauert fort bis ans Ende der Zeit: Die Anklage. Diese Welt ist ein Gerichtshof. Doch die Rollen haben gewechselt. Lange, lange Zeit war der Mensch der Angeklagte. Der Mensch stand schuldig vor Gott, – und Jesus war sein Verteidiger. Jesus, der große Versöhner.

Zeitenwende. Wir erleben eine Szene, die den Christen über viele Jahrhunderte hin unbekannt war. Wir sehen das große Gericht, und der Angeklagte ist: Gott. Gott ist der Schuldige. Gott ist schuld am Leid der Welt. Nicht mehr der Mensch braucht einen Verteidiger, sondern Gott.

Die Lesung aus dem ersten Buch der Könige wird zum Indiz. Wir hören sie nicht mehr mit angstvoller Genugtuung – Gott bestraft die Bösen –, sondern mit sprungbereiter Empörung: Was ist das für ein Gott? Was ist das für ein Buch, diese Bibel? Nichts als Mord, Rache, Gewalt, Blut. Und gleich steht da die nächste Frage: Was seid ihr für Menschen, ihr Christen, dass ihr solches lest in euren so genannten Gottesdiensten?

Es ist Gerichtszeit bis ans Ende der Welt. Wie könnten wir Gott verteidigen? Dies als Erstes: Gott ist nicht zu verteidigen. In diesem Sinn: Gott kann nicht verteidigt werden und Gott muss nicht verteidigt werden. Bis ans Ende der Welt bleibt uns nichts als Entsetzen und Staunen und Fragen. Was aber verteidigt werden muss, ist die Sprache, das Denken. Das Wort der Bibel. Hier, auf dieser Ebene, kann sich etwas bewegen.

„Weil er sich vor mir gedemütigt hat, will ich das Unglück nicht schon in seinen Tagen kommen lassen. Erst in den Tagen seines Sohnes werde ich das Unheil über sein Haus bringen.“ So endet die heutige Lesung. Was offenkundig als gutes Ende gedacht war, entsetzt uns Heutige. Was kann der Sohn für die Schuld des Vaters? Gott straft Unbeteiligte, Unschuldige?

Wenn es schon schwer fällt, also wirkliche Anstrengungen in Vernunft und Gefühl braucht, um einzusehen, dass Fabrikarbeiterinnen in Indien, Migranten an den Stadträndern, Hater in Internet wirklich etwas mit uns zu tun haben, dann wird es schwierig, das Denken hinter solchen Texten zu verstehen. Wir heute leben als Individuen, Einzelne, allein. Allein verantwortlich, wenn überhaupt. Die Menschen damals konnten sich nicht denken ohne ihre Familie, ihr Volk, ihre Vorfahren, ihr Land. Im Denken des Alten Testamentes geht das Tun des Vaters den Sohn an. Ist das nur absurd? Erledigt? Bedenken Sie, was Ihre Vorfahren Ihnen mitgegeben haben: Erbgut, Erfahrungen, Sprache, Anekdoten, Eigenheiten… nicht auch Schuld? Da war z. B. eine Generation, die nicht sprechen konnte und wollte – die Generation unserer Väter. Ist diese Sprachlosigkeit ohne Wirkung an uns geblieben? Welche Zerstörung hat sie angerichtet! Wie viele Fehler mussten wir machen, bis wir endlich reden konnten, anders als unsere Eltern. Was lernen Kinder von ihren Eltern? Viel Gutes, natürlich. Aber auch den ersten bösen Blick… Keiner beginnt bei Null. Wir beginnen mit einem Erbe. Mit der Fähigkeit zur Schuld… Gemeinschaft also: Das Erste, was wir durch diesen Text hindurch neu erkennen können: Wir gehören zusammen. Wir geben weiter. Wir tragen Verantwortung für einander und über uns hinaus.

Das Zweite: Gerechtigkeit. Ahab und Isebel waren Verbrecher. Habgier, Betrug, Gewalt, Mord. Und jetzt frage ich Sie: Wie soll Gott mit der Bosheit umgehen? Wie hätten Sie es gerne? Soll er strafen? Rächen? Vergeben? Wie hätten Sie es am liebsten? Und ich frage weiter: Nicht Sie – wie hätten es die Opfer gerne? Sie hier sind keine Opfer des Verbrecherpaares; Sie sind nur Beobachter, aus kommoder Distanz. Aber Nabot, das Opfer der beiden? Seine Freunde, seine Familie? Was wünschen sich die Opfer? Rache? Oder Gerechtigkeit? Dürfen wir Beobachter einfach von anderen verlangen, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit aufzugeben? Sollen die Opfer Hitlers freundlich nicken, wenn ihr Mörder in den Himmel einzieht und neben ihnen Platz nimmt? Denn das wird er tun, wenn er bereut. Die Reue öffnet den Himmel. Jedem. Keiner, kein einziger ist von der Vergebung Gottes ausgeschlossen. Vergebung wird sein. Aber auch Gerechtigkeit. Erst diese, dann jene. Wenn die Schuldigen, die bereut haben, auch gebüßt haben, werden sie in den Himmel einziehen. Das ist der Sinn der Läuterung (Fegfeuer). Die Opfer werden sehen: Es gibt eine Gerechtigkeit. Nicht in dieser Welt, aber bei Gott.

Die Begegnung mit solchen Texten offenbart uns viel über uns selbst. Steigt Groll gegen Gott in uns auf, weil wir Mitleid mit der Königin haben? Oder weil die Gerechtigkeit uns selber treffen könnte, eines Tages? Neiden wir anderen die Vergebung? Wünschen wir uns eine gerechte Welt, hoffen aber, ein anderer würde es für uns erledigen? Nicht jetzt, später?

Zur Gerechtigkeit gehört die Wiedergutmachung. Das ist der Sinn von Strafe und Buße. Sie sind Zeichen von Einsicht, Reue. Auf das Zeichen des Kreuzes folgt die Auferstehung. Christus trägt die Sünde der Welt.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

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