11. Sonntag im Jahreskreis (B), 17. Juni 2018 „Und der Mann weiß nicht wie.“
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes „Es wird Tag und wird Nacht… und der Mann weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde ihre Frucht…“ Ohne sein Zutun. Wie viel wissen wir wirklich? Wer ist es, der in Wahrheit handelt? Wir? Wenn Sie hinausgehen in Ihre Weingärten, wissen Sie dann ganz genau, wie das alles dort geht? Wenn Sie Biologen wären, mit Messgeräten, wüssten Sie es dann? Sie wissen eine Menge, weil Sie etwas gelernt haben und Erfahrung haben und doch fragen Sie sich jedes Jahr: Wie wird die Ernte werden? – „Und der Mann weiß nicht wie.“ Im Evangelium heißt es: „Nie redete er ohne Gleichnis zu ihnen. Seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen alleine war.“ Die Jünger haben die Gleichnisse mit angehört, – dennoch muss Jesus erklären. Gleichnisse sind keine Gebrauchsanweisungen, auch nicht bloß Beispiele, damit die Leute besser verstehen. Gleichnisse sind wie Symbole: offen. Sie offenbaren und verbergen; sie erklären und lassen Fragen. „Und der Mann weiß nicht wie.“ Was er sieht, täuscht ihn. Was er erwartet, trifft nicht ein. Der Mensch weiß und weiß nicht. Wir leben „in der Fremde“, schreibt Paulus (2. Lesung, 2 Kor 5). Die Lesungen dieses Sonntags bringen in Bewegung, was wir sicher glaubten. Sie sprechen, aber sie sagen nicht alles. Was sie sagen, gibt uns eine Ahnung, aber keine vollständige Antwort. Gott spricht: „Ich mache den hohen Baum niedrig und den niedrigen Baum hoch.“ So hört es der Prophet Ezechiel. Die Dinge kehren sich um. Und wir ahnen: Gott ist anders. Er handelt, und wir verstehen nicht wie. Das Niedrige wird hoch und das Hohe wird niedrig, und wir wissen nicht warum. Eine Vorstellung von Gott haben viele. Gut sei Gott. Oder lieb. Groß. Eine Kraft, eine „höhere Macht“. Wozu gibt es die Vorstellungen von Gott? Um Gott zu zähmen? Wollen wir Regeln statt Glauben? Moral statt Religion? Die Gleichnisse Jesu sind nicht moralisch. Und gerade weil das so ist, erzählen sie von der Freiheit Gottes. Gott ist über der Moral. „Ich lasse den frischen Baum verdorren und den verdorrten Baum sprossen“, heißt es in der Lesung. Wir sind irritiert. Der arme Baum! Darf Gott das? Darf er denen, die nur eine Stunde gearbeitet haben, das Gleiche zahlen wie denen, die zwölf Stunden gearbeitet haben? Darf er den verkommenen Sohn mit einem Fest empfangen, wie es der anständige Sohn nie erlebt hat? Was ist das für ein Gott? Was ist größer? Der Baum oder Gott? Was ist größer? Unsere Ideen oder Gott? Was ist das für ein Gott? Lassen Sie diese Frage einfach stehen in Ihrem Leben. Suchen Sie nicht nach Antworten. Vor allem: Halten Sie Ihre Antworten nicht fest. Leben Sie einfach in Gott hinein. Die Texte heute gleiten. Uns geht auf: Der Glaube – also auch die Kirche –, das ist nicht bloß ein Bestand an Dogmen, Regeln, Schätzen, das ist eine Bewegung. Und treu sein ist etwas anderes als horten. Die Kirche hütet, aber sie besitzt nicht. Sie hütet das Heilige; sie hütet den Glauben. Eine Frau behütet ihren Mann, aber sie besitzt ihn nicht. Ein Mann behütet seine Kinder, aber er besitzt sie nicht. Gott gehört uns nicht. Das zu erkennen, ist seltsam schön. Denn was ist schöner: ein Ding, eine Regel oder Leben? Ist Ihr Gott lebendig? Sind Sie lebendig? Oder funktionieren Sie nur? Gott ist da. Es ist ganz gleich, ob die Bäume hoch sind oder niedrig, wie die Saat wächst, gleich, dass Zivilisationen alt werden, unsere Kultur vergeht und wir den Moment nicht kennen, in dem sich Gott ans Werk macht mit uns. Natur, Gesellschaft, Geld, Leidenschaft, Musik, Schmerz: Alles scheint so wahr zu sein, so offenkundig, wirklich wichtig. Aber es gibt nur einen wahren Grund: Gott. Die Lesungen dieses Sonntags zeigen uns die Welt. Bäume, Gärten, Felder, Menschen. Und fragen uns dann: Ist das die Wahrheit? Ist es ein Gleichnis? Und was fest stand, beginnt leise zu tanzen. Das allzu Wahre wird auf den Kopf gestellt – und wir ahnen das Unsichtbare. Wir fassen unsere Seele nicht, uns selbst nicht, und was Gott tut, werden wir nie erfassen. Aber wir beginnen zu ahnen, wie schön es ist. Und relevant. Wollen Sie wirklich eine Gesellschaft, die sich allein auf Technik und Bilanzen stützt? Die Freundschaft dem Internet anvertraut? Die das Werden und Leben der Kinder plant? Die weiß und weiß und weiß? Eine Gesellschaft, in der alle ihre eigenen Einsichten und schlimmer noch ihre Gefühle absolut setzen? In der jeder meint, die Geschichte sei verstehbar und der Mensch vor allem ein Kunde und Käufer? Müsste man, um die Welt zu verstehen, nicht über ihr sein? Wir aber sind mitten drin. Wie weit sehen Sie? Es tut der Welt gut, wenn es nicht nur Wissen gibt, Technik und Launen. – Etwas offen lassen können, in Gemeinschaft leben statt selbstherrlich, dem anderen treu sein, einander gehorchen, Neues anfangen, die Geschichte aufzuheben und nicht meinen, wir könnten bei Null beginnen. Fremd bleiben: Mir scheint, wir haben einen schönen Gegenentwurf. Das Saatkorn geht auf, wächst, wird zu einem großen Baum, „dass in seinem Schatten die Vögel des Himmels wohnen können“. Vielleicht genügt das manchmal: Die Flügel ausbreiten und fortfliegen. Gott ist weit. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.