Montag der 5. Woche im Jahreskreis, 8. Februar 2016
In Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes
„… er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen.“ Hände, die sich nach dem Gewand Jesu ausstrecken: so viel Erwartung! So viel Hoffnung! Das ist der Mensch.
Was erwarten die Leute, was erwarten Sie von der Religion?
Vielleicht schöne, erhebende Gefühle. Viele erwarten klare Weisung. Ordnung also. Oder Hilfe in den Nöten des Lebens. Heilung. Aber Gott zu begegnen, das erwarten die Leute nicht. Das brauchen sie nicht.
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Es ist geschafft! Das große „Endlich!“ Die Lesung aus dem Alten Testament erzählt vom großen, guten Ende. Jahrhunderte lang wurde das Allerheiligste der Juden in einem Zelt aufbewahrt. Das Zelt: Bild der Wanderung, der Suche nach Heimat. Jetzt hat der König Salomon den Tempel in Jerusalem erbauen lassen. Nicht mehr Weg, sondern Heimat; nicht mehr Wüste, sondern Stadt. Endlich. Endlich Stabilität. Sie kennen diese Sehnsucht.
Doch die Erzählung hat feine Risse. Wie jedes Leben Risse hat. „Sie konnten wegen der Wolke ihren Dienst nicht verrichten“, heißt es, „denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn.“ Gott verhindert den Dienst seiner Priester. Dieser Dienst ist heilig, von Gott selbst aufgetragen; zu nichts anderem als diesem Gottesdienst sind die Priester da – und plötzlich: Halt! Der Gottesdienst ist nicht das Höchste. Die Herrlichkeit des Herrn geht vor. Das Bild eines Bruches, ein Bild des Übergangs.
„Die Kerubim breiteten ihre Flügel über den Ort, wo die Lade stand, und bedeckten sie.“ Bisher war die Bundeslade zu sehen. Jetzt ist sie da und doch nicht da. Ein Bild von Sehen und Nicht-sehen. Zwischen-Zeit. Schon und doch noch nicht.
Und schließlich steht da der Satz: „Der Herr hat die Sonne an den Himmel gesetzt, er selbst wollte im Dunkel wohnen.“ Klarheit und Dunkel im selben Moment. So also ist Gott.
Wir leben in wirren Zeiten. Wir wünschen uns Klarheit. Lösungen. Stärke. Aber Klarheit, wie wir sie uns wünschen, gibt es vielleicht gar nicht.
„Und alle, die ihn berührten, wurden geheilt.“ So steht es im Evangelium. Im Evangelium dieses Tages. Doch Sie wissen es selbst: Heute heilt Jesus alle. Morgen nur den einen oder anderen. Übermorgen keinen. Dann wieder alle. Keine Klarheit. Wir wissen auch: Die Geheilten kommen nicht alle zum Glauben. Die Heilung bleibt stecken – denn was ist die Heilung des Leibes ohne die der Seele? Wir wissen auch: Jesus hat eben die Menge genährt, die ihm nun die Kranken nachträgt. Er hat sie alle wunderbar ernährt dort draußen – und bis heute verhungern Menschen.
Wir leben in dauernder Schiefheit: Das ist Glaube. Wir berühren immer nur Saum seines Gewandes. Klarheit und Dunkel gleichzeitig. Bewegung und Halt im selben Moment. Zeit und Ewigkeit. Weil wir frei sind; weil wir warten müssen; entscheiden müssen, immer wieder. Mehr dürfen wir vom Glauben nicht erwarten. Jedenfalls keine Klarheit im bürgerlichen Sinn. Jedenfalls keine Hilfe, wie immer wir sie uns wünschen. Wir dürfen nur Gott selbst erwarten.
Den Gott, der erschafft. Es müsste diese ganze Welt nicht geben. Aber da ist einer, der sich wünscht, dass es mich gibt und jeden von Ihnen hier.
Wir dürfen erwarten, dass Gott spricht. Wir können hören und verstehen. Zuerst: „Es werde!“ Dann, zu Mose: „Ich bin der Ich-bin.“ Dann, am Sinai: „Du sollst!“ Und schließlich: „Ich bin bei euch…“ Das dürfen wir erwarten.
Gott erschafft, Gott spricht, Gott zeigt sich. Und Gott ist verborgen. Im Himmel werden wir schauen. Hier warten wir. Sehnsuchtsvoll, unvermögend.
Das Vergebliche, das in den Worten der heiligen Texte heute zu spüren ist, muss uns nicht bitter machen. Es ist wahr, dass wir Gott nicht besitzen können. Und weil es wahr ist, ist es auch ein Glück. Die Schönheit, die Güte, die Menschen, die wir lieben, alle setzen uns Grenzen. Sie bleiben ein Rätsel, selbst wenn sie ganz nahe sind. Und das ist ein Glück.
„… er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen.“ Mehr nicht. Es bleiben Demut, Zurückhaltung, Dank, Schweigen, Nichtstun, Stille.
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