Kirchweihfest des Stephansdomes, 28. April 2014
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes
Wien… Alle lieben den Stephansdom. Deswegen ist das ganz leicht: sein Fest feiern. Die Weihe unseres Domes wird gefeiert jedes Jahr am 23. April. Heuer aber erst am 28., dem ersten Tag nach der Osteroktav: Das Osterfest ist wichtiger als der Stephansdom. Der Dom wird also relativiert, zum ersten Mal. Und dann gleich noch einmal. Denn für das Fest wurden uns Lesungen der Schrift gegeben, die diesen scheinbar so fraglosen Dom in Zweifel stellen. Ihn und alle Dome der Welt.
Lukas erinnert uns an die großen Daten der Geschichte Israels. Die die Geschichte Jesu und der ersten Christen ist. Gott selbst hat das Bundeszelt angeordnet. Bis ins Detail, kapitellang, im Buch Exodus. Dann aber ging Gott weiter und war im Tempel zu Jerusalem. Nur da. Dann verkündeten die Propheten: „Der Höchste wohnt nicht in dem, was von Menschenhand gemacht ist“, und Gott fragt durch ihre Stimme die Gläubigen: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was für ein Haus könnt ihr mir bauen?“ Es sind die Propheten, die den Tempel zum ersten Mal in Frage stellen. Es ist Jesus, der den Tempel zerstört.
Gott selbst zerstört, was göttlich ist. Gott setzt sich in Widerspruch zu sich selbst, so scheint es. Damit wir lernen: Gott ist immer größer. Größer als jedes Bauwerk sowieso; größer auch als alle Kunst. Gott ist größer als jede Idee von Gott: Das lernen wir. Damit der, der sich aufmacht, Gott zu finden, Gott nicht hat, wie man etwas hat, sondern damit er sich in Gott verliert. Damit wir in Gott frei werden. Bauwerke sind nicht frei. Der Geist ist frei. Am Tag der Weihe unseres Domes erinnert uns die Kirche daran, dass wir das Göttliche lassen müssen, um Gott zu finden. Uralte Erfahrung aller, die wirklich beten. Paulus lehrt die ersten Christen, den Tempel und alle anderen Bauten aufzugeben. „Wisst ihr nicht, dass IHR Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Der wahre Dom, das ist der Gläubige und die Gemeinschaft der Gläubigen, die Kirche. Die Kirche ist zuerst innerlich, unsichtbar.
Viele, auch „gute Katholiken“ wollen vergessen machen, dass die Kirche ein Geheimnis ist. Dass sie in ihrem Wesentlichen etwas ist, über das wir nicht verfügen können, wie es uns gefällt. Es ist nicht umsonst, dass das Konzil dem ersten Kapitel des dogmatischen Textes über die Kirche den Titel gibt “Das Geheimnis der Kirche”. Die Kirche ist ein lebendiges, geistiges Wesen, “eine geheimnisvolle Persönlichkeit”. Sie lebt über die ganze Erde weg, in allen Zeiten. Sie hat Orte, die sie besucht und nutzt. Ist sie weg, zerfällt der Ort. Das Leben verlässt den Dom (Proust).
Die Kirche ist immer unsichtbar und sichtbar. Das unsichtbare Herz der Kirche ist die Liebe Jesu. Unsichtbar ist die Kirche in dem, was das Wichtigste ist und das Wirklichste: in der Gnade, in der Gegenwart Gottes. Gott ist in der Kirche, nicht in einem Bau.
“Mir will scheinen, dass zwischen Jesus Christus und der Kirche alles ganz eins ist.” Erstaunliches Wort. Die heilige Johanna von Orléans sagt es zu den Priestern, die sie auf den Scheiterhaufen schicken. Der Auferstandene aber ist unsichtbar. Und doch hat die Kirche Strukturen. Unsichtbar bedeutet nicht ungeordnet; Geheimnis ist nicht Anarchie. Das Evangelium vom Hochfest der Kirchweihe gibt uns die Ordnung; die Ordnung des Gottesdienstes und der Kirche selbst: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder; dann komm und opfere deine Gabe.“ Ohne Versöhnung kein Gottesdienst: Das ist die Ordnung der Kirche.
Die Anarchie kommt von uns. Denn genauso wird der Gottesdienst ja nicht gefeiert. Jeder dispensiert sich vom Wort des Herrn. Wir setzen die Prioritäten anders. Wir schaffen die Unordnung, unter der wir dann selbst leiden. Wir feiern nicht den wahren Gottesdienst und ermuntern so die, die unsere Kirchen zu Konzertsälen machen, zu Konsum-Stätten; Stätten der Augenlust, die grußlos in Besitz genommen werden, mit der erhobenen Handy-Kamera.
Die Bauten sind nur ein Bild. Das vergeht, wenn es Zeit ist. Das Eigentliche: Gott und unser Inneres. Dort ist die Kirche. Die Kirche ist, lehrt das Konzil, Sakrament Christi: Zeichen für Christus. Ist der kostbare Dom, ist diese kleine Kirche, sind wir Zeichen für Christus? Das ist die Frage. Alles andere ist Zugabe.
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