Fest der Hl. Agnes
21/01/2013
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes.Der 21. Jänner ist von alters her der Festtag der hl. Agnes. Keine andere jungfräuliche Märtyrerin wurde schon so früh so sehr verehrt wie sie. Schon im 4. Jahrhundert finden sich schriftliche Zeugnisse von ihrem Sterben; beinahe alle christlichen Kirchen feiern ihren Todestag. Erzählt wird von der Schönheit und der Glaubensfestigkeit eines jungen Mädchens aus vornehmer römischer Familie. Davon, dass sie den Sohn eines hohen Beamten heiraten sollte, sich aber verweigerte. Auf hartnäckiges Nachfragen gesteht sie, längst vergeben zu sein: an Jesus Christus. Keine Drohung kann sie umstimmen: Sie gehört Christus. Das Mädchen stellt sich über das Recht der Familie und des Staates. Dieses Recht verbot die Hinrichtung von Jungfrauen, deswegen wollte man Agnes entkleiden und zur Prostitution zwingen. Aber da umhüllten sie mit einem Mal lange Locken wie ein Gewand und vom Himmel her ein Lichtglanz. Keiner wagte es, sich ihr zu nahen. Nur der junge Mann, der ihr zugedacht war, wollte sich vor seinen Freunden produzieren und griff nach ihr. Er fiel tot zu Boden. Auf das Gebet der jungen Frau hin kam er wieder zum Leben. Nun wollte man sie als Zauberin verbrennen. Aber sogar das Feuer wich zurück vor ihr. Schließlich wurde sie getötet, wie man die Lämmer tötet: mit einem Schwertstoß durch die Kehle. Das Recht des Individuums und das Recht der Familie und des Staates, Keuschheit und Reinheit, Heiligkeit und Freiheit, Leben und Sterben – alles ist in der Agnes-Legende da. Aber ich fürchte, dass es uns eben nur Legende bleibt: mehr oder minder malerische Erzählung ohne Bezug zu unserem Leben.
Vielleicht hilft es da, von einem merkwürdigen Zusammenfallen zweier Daten zu profitieren. Am Fest der hl. Agnes 1793, heute also vor 220 Jahren, wurde in Paris Ludwig XVI. enthauptet. Um genau 10 Uhr 22 fiel das Beil, und der gesalbte König von Frankreich und Navarra war tot. Für wenige ein Grund zu Fragen oder Schrecken; für die meisten, zumal hier in Österreich, ein historisches Ereignis unter vielen oder sogar eine irgendwie gerechte Strafe. Wer aber absieht von den politisch-historischen Argumenten, wer nur auf den getauften und gesalbten König schaut, auf den Christen, der sich solchem Tod stellen muss, der merkt, wie sich – ganz sanft – die Geschichten annähern: die Ludwigs XVI. und die des Mädchens, an deren Fest er sterben musste. Zwei Geschichten der Entblößung. Die eine, die der Agnes, bleibt sozusagen im Privaten, denn Weltgeschichte hat diese Märtyrerin nicht gemacht. Die Ludwigs aber tritt ins Große. Zehntausende von Augen beobachten die Entblößung des Königs. Europa wird mehr als hundert Jahre brauchen, um mit dieser Tat irgendwie fertig zu werden. Die Kirche noch länger. Erst mit dem II. Vatikanischen Konzil kann sie den Schrecken überwinden und auch das Notwendige und Gute sehen, das die Revolution gebracht hat. Beide, Agnes wie Ludwig, werden Objekte des Gaffens; beide werden in ihrer Intimität und Keuschheit angegriffen; beide dürfen nicht mehr über ihren Körper verfügen und auch nicht über ihr Sterben, das doch das Intimste überhaupt ist. Beide Male wird eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden darf. Beim König, der sozusagen vor der Weite der Welt stirbt, hat diese Verletzung der Grenze ungeahnte Folgen. Da stirbt nicht nur einer. Diese Hinrichtung wird Grund für unzählige weitere Morde. Mit dem 21. Jänner 1793 beginnt der Terror, der allein in Frankreich 50.000 Menschen das Leben kosten wird. Wo einmal die Grenze überschritten wird, nicht privat und zufällig, sondern öffentlich, planmäßig, absichtlich, da ist kein Halten mehr. Bis zu diesem Tag konnte ein König im Feld fallen, es konnte Attentate und Verschwörungen geben, aber weder Volk noch Nation konnten dem durch die Salbung geheiligten König den Prozess machen. Nun, ab 10 Uhr 23, war alles möglich: keine Grenze mehr. Wer den König töten darf, darf jeden töten. Und tatsächlich hat das 20. Jahrhundert dann gezeigt, dass es keine Grenze mehr gab. In Russland nicht, in Deutschland nicht, in Kambodscha nicht, in den Laboren der Wissenschaft nicht.
Auf den König fiel kein Lichtschein, der ihn geschützt hätte. Aber auch Agnes musste ja schlussendlich sterben. Und keine der Katastrophen, die wir kennen, hat Gott aufgehalten. Aber vielleicht hält Gott auf, was wir nicht kennen? Schrecken, die wir kaum ahnen können? Uns bleiben nur Widerstand, schon im Kleinen. Schutz des Heiligen (Malteserkirche). Die Freundschaft der wenigen Gleichgesinnter (Malteser-Ritter-Orden). Und am Ende vielleicht die Einsamkeit. Der Bericht vom Sterben des Königs gibt uns noch einen Haltepunkt, der uns vielleicht nachvollziehbarer ist als die Legende der hl. Agnes: Als man ihm die Hände auf den Rücken fesseln will, regt sich ein erstes und einziges Mal der Zorn Königs. Er protestiert gegen diese Demütigung. Da sagt ihm der Priester, der dabei steht, leise: „Sire, diese Demütigung ist die letzte Gemeinsamkeit zwischen Euch und dem Gott, der Euer Lohn sein wird.“ Agnes, Ludwig XVI., die vielen anderen werden immer nur Jesus gleich. Dem, den wir nennen: Erlöser dieser armen Welt.
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