10. Sonntag im Jahreskreis (B), 6. Juni 2021
10. Sonntag im Jahreskreis (B), 6. Juni 2021 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes „Wo bist du?“ – Tut Ihnen diese Frage gut? Wünschen Sie sich, einer würde Sie fragen: Wo bist du? Einer, der nach dir sucht. Ein Mensch, der auf dich wartet, bis du endlich heimkommst: wunderschön. Wenn es der Richtige ist. Schlecht, wenn es ein Depp ist. Aber egal, Sie verstehen schon. Ihr Herz versteht die Frage: Wo bist du? „Wo bist du?“, ruft Gott. Adam hört es – und wünscht sich, taub zu sein. Oder am anderen Ende der Welt. Denn er ist schuldig. Es ist immer so: Der Schuldige verpuppt sich in sich selbst. Er schämt sich für sich selbst; er ärgert sich über sich selbst. Der Panzer um ihn wächst Schicht um Schicht; das geht schnell. Deswegen ist es so selten, dass einer sagt: Ich bin schuld. Deswegen ist es so schwer zu sagen: Vergib mir! – Warum ließ Gott im Menschen die Idee aufkommen, er wolle uns übel? Er sei streng und hart? Er sei ein Gott, der alles sieht und alles räch? Warum hat Gott das zugelassen? Es wäre so viel leichter, wenn die Menschen Gott nicht misstrauen würden. „Da bekam ich Angst“, sagt der Mensch zu Gott. Die Erkenntnis: ich war es, ich bin schuld, ist so erschreckend, dass die meisten abschieben. Nicht ich: die Frau! Nicht ich: die Schlange! Die anderen, die Verhältnisse, die Erziehung, die Medien, die Zwänge… immer sind es die anderen, die schuld sind. Statt dass einer hinsteht und sagt: „Ja. Ich war es.“ Doch das Abschieben hilft nicht. Nie. Am Ende stehst du immer nackt da. Am Ende ist nicht Friede, sondern Feindschaft. Haben Sie bemerkt, dass Gott es ist, der die Dinge im Paradies neu ordnet und eine Zukunft eröffnet? Was wäre geschehen, wenn Gott nicht gerufen hätte: Wo bist du? Wenn jeder geblieben wäre, wo er war? Wie wäre es weitergegangen? Die Menschen hätten vom Baum der Erkenntnis gegessen gehabt – und dann? Was genau tun wir mit unserer Erkenntnis? Atombomben bauen? Ein KZ austüfteln? Facebook erfinden? Dem eigenen Mann misstrauen? Wissen ist nie unschuldig und nie harmlos. Wissen ist nicht leicht. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist so grauenvoll schwer, dass die meisten lieber gar nicht erst fragen: Ist das gut, was ich tue? Der durchschnittliche Biologe denkt lieber darüber nach, wie man nützliche, gesunde Menschen-Arbeitskräfte (denn darum geht es ja) züchten kann, als darüber, ob es denn gut sein, das zu tun. Die erste Lesung bringt Ihnen heute eine der berühmtesten Geschichten der Welt: die Geschichte vom Paradies und vom Sündenfall. Kaum eine Geschichte hat das Denken der Menschheit so geprägt wie diese. Jeder meint irgendwie zu wissen, um was es geht. Aus jedem Wort dieser Geschichte wurde von den Schriftgelehrten ein ganzes System gebaut. Aber geht es hier wirklich vor allem um Schuld? Geht es hier um das Verhältnis von Frau und Mann? Nein. Es geht auch nicht um Schlangen. So alt die Geschichte ist, so zu Ende erforscht sie zu sein scheint: Man kann sie neu entdecken. Neu, weil die Kirche lebendig ist. Zuallererst geht es um Beziehungen, gelingende und misslingende. Und um Verantwortung. „Krise im Paradies!“ wäre die gar nicht falsche Schlagzeile dazu. Auf den ersten Blick geht die Geschichte schlecht aus: Statt weise wird der Mensch nackt; Mensch und Tier werden sich feind; zwischen Mann und Frau geht es um Herrschaft statt um gegenseitige Wertschätzung; vor Gott versteckt sich der Mensch und misstraut ihm. Man kann es aber auch so sehen: Gott gibt ein Gebot, nicht ein Verbot. Das ist ein Unterschied. Das Gebot ist nahe am Rat. Es sagt: Hab acht! Es ist wichtig für Dich; damit es dir gut geht. Die Gebote Gottes sind weniger Einschränkungen als Weisungen zu einem gelungenen Leben. Gott weiß, was die ersten Menschen nicht wissen wollten: Die Erkenntnis von Gut und Böse stellt uns vor Herausforderungen, denen wir nicht gewachsen sind. Wir müssen uns ihnen stellen, es gibt kein Zurück mehr. Und wir werden daran scheitern. An der Frage von Gut und Böse scheitert jeder. Davon erzählt die Geschichte. Da haben sie gerade vom Baum der Erkenntnis gegessen, wissen aber nichts Besseres zu tun, als sich zu verstecken, mit dem Finger auf andere zu zeigen und ihre höchstpersönliche Verantwortung zu leugnen. Die Erkenntnis von Gut und Böse haben sie jetzt. Doch das Handeln, das dazu passt, bekommen Frau und Mann nicht hin. – Gut und Böse, Wissen und Macht: Wir alle spielen in diesem Drama mit. Es ist gut, sich darüber klar zu sein. Sonst wird man wie die jungen Politiker und Gründer, die einfach nur mächtig sein wollen. Weil es geil ist. Die die Spielchen lieben. Sich salvieren wollen. – Die Geschichte Österreichs hat wahrlich andere Kaliber zu bieten! Männer wie Kaiser Karl V., der sich dem Drama der Macht gestellt hat, wissend, dass er daran zerbrechen würde. Das ist alle Größe, die uns bleibt. „Von Baum der Erkenntnis dürft ihr nicht essen.“ Das erste und einzige (!) Gebot Gottes an die Menschheit. Weil Gott uns dumm halten will? Sie wissen schon, was die Kirche alles getan hat, um die Menschen aus der Blödheit zu befreien? Universitäten, Schulen (die ersten Schulen für Mädchen!), Bibliotheken, Kunst noch im kleinsten Dorf. Weil die Kirche glaubt: Gott will dem Menschen Erkenntnis schenken, Weisheit, Klugheit, diese Gaben des Heiligen Geistes. Sie sollten die Wahrheit schauen; doch die Menschen wollten nicht beschenkt werden, sondern nehmen, das Verbotene tun. Widerstand leisten, werden wie Gott. Am Ende sind sie nackt und schieben einander die Schuld zu. Und Gott ruft: „Wo bist du?“ Wieder und wieder. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören