Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Fastenzeit-Vortrag des Entwicklungsraumes Pulkautal, 5. März 2021, Mailberg

05/03/2021 


Die Predigt zum Anhören

Fastenzeit-Vorträge des Entwicklungsraumes Pulkautal, 5. März 2021, Mailberg
Hoffnung – Was mir als Seelsorger am Herzen liegt

HOFFNUNG

Was mir als Seelsorger am Herzen liegt

(Fastenzeit-Vortrag des Entwicklungsraumes Pulkautal, 5. März 2021, Mailberg)

Was mir am Herzen liegt. Wenn der Titel dieses Vortrags so lauten würde, dann wäre meine Antwort: Eine funktionierende Heizung, das liegt mir am Herzen.

Und wenn man mich dann fragte: Ja, haben Sie denn keine größeren Anliegen? dann wäre meine Antwort genau die, die vor Jahren eine alte Schauspielerin in einem Interview gegeben hat. Auf die Frage: was ist das Wichtigste im Leben? sagte sie: Wahrheit und Leidenschaft. Das gefällt mir. Das liegt mir am Herzen: Wahrheit und Leidenschaft. – Damit meine ich nicht zuerst, dass ich immer die Wahrheit sagen will, sondern eher: die Wahrheit suchen, die Wahrheit sehen.

Doch die Frage des Abends ist ja gar nicht, was mir persönlich am Herzen liegt, sondern was mir als Seelsorger am Herzen liegt. Da ist meine Antwort: der Glaube. Dass die Menschen in meinen Gemeinden zu einem persönlichen Glauben finden. Dass sie endlich über Traditionen und Konventionen hinausgehen. Dass jeder in Mailberg zu Jesus Christus sagen kann: „Mein Herr und mein Gott!“ Das ist mein Herzensanliegen als Seelsorger. Und es wird sich nie erfüllen.

Wenn Sie nun fragen: wie geht das? Wie kommt ein Mensch zu diesem persönlichen Glauben? dann bin ich ratlos, denn der Glaube ist ein Rätsel. Wir wissen nicht, warum der eine glaubt und der andere nicht. Gleichzeitig bin ich überzeugt: Ein Mensch kommt zu einem persönlichen Glauben, indem er ernstnimmt, was er in der Kirche tut.

Ich denke, das ist das Grundübel in der Kirche: dass die Worte der Schrift und der Liturgie nicht ernst genommen werden. Vielleicht nicht einmal gehört werden. Dass es einen stillschweigenden Konsens bei Geistlichen wie bei Laien gibt, das, was Jesus sagt, das, was wir selber in der Liturgie, in den Gebeten und Liedern sprechen, nicht ernst zu nehmen. – Jedes Wort ernst nehmen, das sei doch übertrieben, zu fromm, weltfremd. Und so singen alle im Gloria: du allein bist der Herr! und keiner meint es ernst. Ich hingegen überlege, was allein dieser Satz – „Du allein bist der Herr!“ – für mein Leben bedeutet, für die Politik und für das Gericht über mich am Jüngsten Tag.

Ich weiß nicht, ob man die großen Dinge des Lebens und des Glaubens zu ernst nehmen kann. Im Glauben nehme ich alles ernst, weil ich glaube, dass es wahr ist. Sie erinnern sich: Wahrheit und Leidenschaft… Zur Klugheit (und ich wünsche mir natürlich eine kluge, eine lebenskluge Pfarre) zur Klugheit gehört, dass man unterscheiden kann zwischen groß und klein, zwischen den großen Dingen des Lebens und dem Alltagskram. In der Verwaltung, am Schreibtisch muss man genau sein, zuverlässig, – aber ich würde nicht sagen, dass jeder Erlass der Erzdiözese oder des Vatikans ernst zu nehmen ist.

Ernst zu nehmen sind die großen Dinge des Lebens: Leben und Tod, Mann und Frau, Priester und Soldat, Gott und Mensch, die Ewigkeit, die Schönheit, die Geschichte, woher komme ich? Was ist mein Ziel? Was also ist zu tun? Fragen, die jeder irgendwann hat. Und die nehme ich ernst; da suche ich die Wahrheit.

Das prägt auch meinen Umgang mit den Kindern. Die liegen mir am Herzen. Ich nehme jedes Kind genauso ernst wie einen Erwachsenen. Die Kinder sind die Zukunft der Kirche. Die Gegenwart der Kirche, die Erwachsenen habe ich weitgehend abgeschrieben. Die Erwachsenen, das sind zu viele Urteile, die nie mehr hinterfragt werden. Ein Beispiel? Kirche ist für Frauen und Kinder, aber nicht für Männer. Für Männer ist Feuerwehr. Das ist so ein Vorurteil, das unendlich Vieles blockiert und einfach dumm ist.

Der Glaube vieler ist nicht mitgewachsen, nicht erwachsen geworden. Der erwachsene Christ, das liegt mir am Herzen. In den Kindern erkenne ich ein offenes, kostbares Herz; in vielen Erwachsenen hingegen ein verschlossenes oder verlottertes Herz. Für solch ein Herz braucht es den Blick Gottes. Ein Pfarrer ist da machtlos.

Zuerst einmal liegt mir einfach daran, dass die Kinder gerne in die Kirche kommen. Aber das wahre Ziel ist: Sie sollen ihr Leben lang wissen, dass die Kirche der Ort ist, wo sie die großen Fragen stellen können und gute Antworten finden. Das funktioniert, meine ich, über die Erinnerungen. Die Gottesdienste in unseren Kirchen beflügeln die Fantasie, sie erschließen neue Welten, erzählen Geschichten, sie gehen zu Herz. Wenn die Kinder schöne, unvergessliche Erinnerungen aus unseren Gottesdiensten mitnehmen, Bilder, Melodien, Gesten, dann trägt das weit in ihr Leben hinein. Die Kirche ist wesentlich Erinnerung, Geschichte. „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Dieser Satz aus der Wandlung ist ein Kernsatz der Kirche. Und weil die Kirche wesentlich Erinnerung ist, braucht es Treue. Wir können die Kirche nicht neu erfinden. Wir empfangen sie und gegen sie weiter. Das ist Treue. Ein Austritt aus der Kirche ist etwas, das mir total fremd ist. Ich verachte die nicht, die diesen Schritt tun, aber ich verstehe sie nicht.

Geschichte, das sind für mich nicht Daten und alte Mauern, sondern Erinnerungen, Wurzeln, Träume… Deswegen ist es eine meiner Aufgaben, eine bestimmte Kultur zu erhalten, nicht bloß Bauwerke. Ich will nicht, dass eines Tages, in zwanzig Jahren vielleicht schon, die Mailberger und andere hier in der Kirche stehen und nicht mehr wissen, wer diese Frau mit dem Kind ist. Ich will nicht, dass Melodien, die die Kirche seit 1000 Jahren singt, nur noch im Konzertsaal oder bei Fake-Mönchen zu hören sind. Das liegt mir am Herzen. Ich will eine Tradition bewahren – und gleichzeitig mit Traditionen brechen. Ich will eine neue Kultur. Was bekanntlich ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Schönheit liegt mir am Herzen, auch als Seelsorger. Ich bin überzeugt, dass die Schönheit den Menschen guttut; dass sie ein Recht auf Schönheit haben. Die Kirche in Europa hütet soviel Schönheit! Leider meistens die Schönheit alter Zeiten. Warum ist das meiste, was die Kirche heute treibt, nicht schön? Es gibt fabelhafte moderne Musik, moderne Maler, Schriftsteller, aber nichts davon findet sich in der Kirche. Bei uns ist es oft geschmacklos, banal, lieblos, von vorgestern. Nicht schön. Die Fabrik-Messkleider aus Italien oder Polen sind nicht schön. Und sie entsprechen nicht den Anordnungen des Konzils. Künstliche Blumen sind nicht schön. Wolle und Leinen und Bienenwachs und Kräuter sind schön. Echt.

Mit Schönheit meine ich nicht Dekoration. Ich meine mehr als nur Wohlbefinden fürs Auge. Es geht um eine Disziplin. Die Disziplin des Geistes. Ordnung, Aufmerksamkeit, Maß. Die Schönheit der Wiederholung. Und der Stille. Auch die des Überschwangs. Die Liturgie ist einfach, aber nicht sparsam. Sie muss eine Feier sein, immer, sogar am Werktag in der Früh. Eine Feier, – aber kein Machtspiel.

Mir geht es um Schönheit; den Konservativen geht es um Macht. Die evangelikalen Christen, die angesagten Movimenti wollen gesellschaftliche Macht, Begeisterung der Mengen, Einfluss in der Kirche. In der Diskussion um das Frauenpriestertum geht es um den Anteil an der Macht, nicht um das Heilige. Mich interessiert Macht nicht. Ich muss anderen nichts diktieren und brauche keine Fans. Ich will bloß feiern, betrachten, predigen und Menschen verstehen.

Dabei geht es um die Verwirklichung der Ideen des II. Vatikanischen Konzils. Für die meisten bedeutet das Konzil: Pfarrgemeinderat und Volksaltar. Aber der Pfarrgemeinderat nicht als seelsorgendes Gremium, sondern bloß als organisierendes. Das ist ein großer Unterschied. Sie alle hier wissen, dass der Pfarrgemeinderat für die Seelsorge da sein soll, aber in Wirklichkeit für die Organisation von Brotaufstrichen da ist.

Ich behaupte: Konzil, das ist nicht primär die deutsche Sprache in der Liturgie. (Wenn die Verständlichkeit wirklich so wichtig wäre, müsste es mehr Empörung über Priester geben, die seit 20 Jahren in Österreich leben, deren Predigten aber immer noch keiner verstehen kann.)

Ich denke: Konzil, das ist primär das allgemeine Priestertum der Getauften und die moderne pluralistische Gesellschaft[1]. Beide Gedanken haben sich in den Pfarren überhaupt nicht durchgesetzt. Das ist die Schuld der älteren Priestergeneration.

Im Konzil hat die Kirche sich von der geschlossen katholischen Gesellschaft verabschiedet. Sie hat den anderen Religionen und Lebensentwürfen – dem „Irrtum“ wenn Sie so wollen – ein Existenzrecht eingeräumt. Sie hat das Gute und Wahre auch in anderen Weltanschauungen entdeckt. Das bedeutet für mich sehr konkret: Die Pfarre ist hier in Mailberg ein Faktor von vielen; sie arbeitet mit anderen zusammen, um das Dorf lebendig, menschenfreundlich und zukunftsorientiert zu machen. Die Pfarre ist nicht mehr wie früher eine Moralinstanz, die beansprucht, das Leben des Dorfes zu dirigieren.

Eine politische Pfarre, das liegt mir am Herzen. Sie werden schon gemerkt haben, dass es mir dabei nicht um Parteien geht. Politik im klassischen Sinn ist das, was die „öffentlichen Dinge“ betrifft. In einer Gesellschaft, die sich radikal verändert, kann die Pfarre eine Kultur bieten, die Stabilität und Halt gibt und dabei dennoch neu sein. Die Pfarre als belebender Kontrast. Das Evangelium ist für mich auch nach bald 40 Jahren Priestertum immer noch: neu. Verstörend. Die Künstlerin Meret Oppenheim hat einmal gesagt: „Jede wirklich neue Idee ist eine Aggression.“ So nehme ich das Evangelium wahr.

[1] „Erklärung über die Religionsfreiheit“, Nº 7: „Endlich muss die Staatsgewalt dafür sorgen, dass die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, die als solche zum Gemeinwohl der Gesellschaft gehört, niemals entweder offen oder auf verborgene Weise um der Religion willen verletzt wird und dass unter ihnen keine Diskriminierung geschieht. Hieraus folgt, dass es für die öffentliche Gewalt ein Unrecht wäre, den Bürgern durch Zwang oder Furcht oder auf andere Weise das Bekenntnis oder die Verwerfung irgendeiner Religion aufzuerlegen…“ – s. a. Nº 8

Sie sind vielleicht erstaunt, weil ich nicht sage: die Armen und Kranken liegen mir am Herzen. Wollen der aktuelle Papst und der Souveräne Malteser-Ritter-Orden nicht genau das, vor allem? Ich habe von der Fürsorge für die Armen und Kranken nicht gesprochen, weil ich sie selbstverständlich finde und weil es in Mailberg viel davon gibt. Die Kranken und Alten werden gut unterstützt, Arme im Sinn der Caritas gibt es hier nicht. Aber es gibt viele, die arm sind in der Seele. Ich ahne, dass hier in Mailberg die Seelsorge für die Väter, für die Männer wichtiger wäre.

Mir liegt eine neue Art von Seelsorge am Herzen. Ich bin überzeugt, dass Verbände, Gruppen, Strukturen nicht mehr tragen. Die jungen Menschen wollen sich dort nicht mehr einfügen und binden. Wir haben das Zeitalter der Unverbindlichkeit und des Individualismus. Es braucht also die Seelsorge am Einzelnen. D. h. viel Zeit, viel Geduld. Auch weil die Toleranzgrenze gegen Null geht: Ein falsches Wort und der Getroffene geht von uns weg.

Diese Seelsorge bedeutet zuerst Zurücktreten. Der Seelsorger soll nicht von sich erzählen, sondern zuhören. Zuhören bedeutet dienen und die Freiheit des anderes achten. Ich muss mir regelrecht Gewalt antun, um zu dieser Haltung zu kommen, aber ich bin überzeugt: Jeder hat seine eigene Geschichte, und jede Pfarre hat ihre eigene Geschichte. Wissen die Strukturreformer das? Die Seelsorge, von der ich spreche, funktioniert beim Heurigen nicht und auch nicht beim Leichenschmaus. Sie funktioniert in den stillen Wohnungen. Ich habe, auch dank des Kardinals, die Mission als Auftrag entdeckt. Und nun missioniere ich jeden Einzelnen hier. Sie wissen das.

Ja, und die Abtreibungen, das liegt Ihnen nicht am Herzen? Und die Tierversuche? Und die Umwelt? Und die Flüchtlinge und die Rettung der Kunstschätze in Italien? Gute Frage. Berechtigt. Beunruhigend. Weil ich bemerke, dass Tierschützer niemals gegen Abtreibungen demonstrieren würden. Die, die gegen die Christenverfolgung demonstrierend durch Wien ziehen, würden niemals gegen die Verfolgung von Homosexuellen demonstrieren. Die ja in etlichen Ländern auch mit dem Tod bedroht werden. Und die LGBTQ[2]-Leute wiederum würden nie für verfolgte Christen auf die Straße gehen. Und weil das so ist, weil jeder nur seine Lieblingssuppe kocht und findet, alle dürften nichts anderes essen als seine Lieblingssuppe, deswegen sage ich jeder Gruppe, die mich vereinnahmen will, ein herzliches „Geht’s scheissen!“ Und tue, was ich kann. Immer zu wenig. Oft das Falsche.

Ich komme zum Schluss. Ich kann das, was mir als Seelsorger am Herzen liegt, auch noch einmal anders formulieren: Heiligkeit. Dass die Menschen in meinen Kirchen zur Heiligkeit finden. Nicht zur Heiligkeit der blutleeren Statuen und Bilder, sondern zu ihrer ganz persönlichen Heiligkeit: zu einer echten Beziehung zu Christus, diesem verstörenden, überwältigenden, sanften Mann.

Dafür scheint es mir, so wie die Welt heute ist, unabdingbar, dass die Heiligkeit verteidigt wird. In diesem Punkt bin ich ein echter Malteser. Ich verteidige in den Kirchen die Heiligkeit. Weil, so meine tiefe Überzeugung, die Gesellschaft das Heilige braucht. Was ist derzeit in Österreich heilig? Nicht die Kirche! Das Geld? Die Fußballer? Das Auto? Ich fühle tiefes Unbehagen, wenn 22-jährige Sportler verehrt werden wie Gottheiten. Das ist nicht richtig.

Der Titel dieser Veranstaltungsreihe lautet „Hoffnung“. – Hoffnung habe ich keine. Jedenfalls setze ich keine Hoffnung mehr auf die Strukturen, keine auf die Laien und keine auf den Klerus. Ich rede hier von Gruppen, nicht von Einzelpersonen, die hier zugegen sind und von denen ich viele hoch schätze.

Ich würde gerne sagen: Ich setze meine Hoffnung auf die Sakramente. Aber braucht es, damit die Sakramente wirken, nicht doch einen Glauben? Eine heikle theologische Frage… Ich sehe aber keinen Glauben an die Sakramente. Die Taufe, die Beichte, die Eucharistie, die Ehe sind den Katholiken nicht wirklich wichtig. Das Corona-Jahr zeigt es. Doch sehe ich richtig? Ich weiß es nicht.

Gar keine Hoffnung also? Doch: Einzelne Menschen machen mir Hoffnung. Einzelne Szenen. Im Advent hatten wir die alte Kunigundenkapelle droben am Berg offen, es brannten den ganzen Tag Kerzen, Musik war zu hören und das noch leere Kripperl war zu sehen. Und wider Erwarten gingen viele Mailberger hinauf in die Stille. So etwas macht mir Hoffnung.

Meine einzige wahre, stabile Hoffnung aber ist die Gegenwart Christi in seiner Kirche. Die Unfehlbarkeit der Kirche.

[2] Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

Die Predigt zum Download finden Sie hier!

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