Allerseelen 2020
Allerseelen 2020 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Die Unterkünfte der Toten: dunkel. Gräber, Grüfte, Mausoleen: eng und schwer. Alles scheint um das Behalten zu gehen. Nicht um Lassen und Weggeben, sondern um das Festhalten. An Freiheit erinnert hier nichts. Wie auch? Der Tod setzt der Freiheit ein Ende. Er zementiert das Leben ein. Keine Wahl mehr, keine Entscheidung, keine neue Geschichte. Das Grab und die Gruft sind Bilder, die die Wahrheit sagen: Ende der Möglichkeiten. Der Jesus der Evangelien ist so frei! Bei ihm ist alles möglich. An ihm ist eine Leichtigkeit, die nicht von dieser Welt ist. Nicht Leichtfertigkeit: Leichtigkeit. Wenn Jesus über das Wasser geht, wenn er verklärt im Licht schwebt, wenn er durch verschlossene Türen eintritt, in den Himmel erhoben wird: Nie ist da Schweres, nichts zieht nach unten, nichts klammert. Der Himmel kann doch nicht dunkel und schwer sein, oder? Jesus ist die andere Wahrheit. Die Welt des Todes, wie wir sie kennen, zeigt das Schwere, das Verschlossene, Klammernde. In den Gräbern der Pharaonen ist die Leiche zubereitet, aufbewahrt und gesichert für irgendwelche Dauer. Da stemmt sich alles gegen den Tod. Aber auch dort, wo die Asche des Verstorbenen weggestreut wird, wo buchstäblich Gras über den Namen des Toten wachsen soll oder ein Baum, auch dort wird so getan, als gäbe es keinen Tod. Gleich ob Königsgrab in der Wüste oder Ehrengrab in der Stadt oder Grab im Wald, immer wird so getan, als wäre der Tod nicht echt, als ließe sich das Leben festhalten. Das Kreuz Jesu tut nicht so. Sein Tod ist offenkundig. Aufgerichtet vor aller Augen. Aber dann: Der Leichnam Jesu ist bloß in ein paar Tücher gewickelt; die Umschnürung ist leicht zu lösen; so leicht, dass die Frauen zu spät kommen. Das Grab ist nur geliehen; es liegt in einem offenen Garten. Kein Baumeister war dafür zuständig; es brauchte keinen Plan. Der Stein, der zu schwer zu sein schien, liegt einfach beiseite. Und Jesus tritt heraus aus dem Grab; heraus, fort ins das Unumfasste. Freies Fortgehen – dazu hat er sich erhoben, dazu erhebt er die Menschen: freies Fortgehen aus dem Grab. Ende des Todes. Das ist das Ungeheuerliche: Das, was so definitiv erscheint, der Tod, hat ein Ende. Mit einem Mal ist da Chance und Bewegung. Hier wird klar, dass die Gnade eine ungeheuerliche Kraft ist, durch nichts zu bremsen, auch nicht durch den Tod, der uns Menschen so mächtig zu sein schien. Gnade ist Gewalt. Siegreiche Gewalt. Das Unvorstellbare (oder Unannehmbare) verbindet sich hier mit dem Innigen. Die neue Freiheit geht zusammen mit zartester Innigkeit. Die Auferstehung Jesu, das ist Drang ins Freie und wie vorsichtige Scheu. Statt der engen Klammer des Grabes Fortgehen – und Geborgenheit. Der Auferstandene geht ja nicht irgendwohin, er geht zum Vater. Erinnern Sie sich an die Gesten der Ostertage (…): Da ist keine Härte oder Heimatlosigkeit. Und auch keine Schwäche. Diese Zartheit des Auferstanden ist mit Macht verbunden. Bei Christus geht es nicht um einen Aufschub wie bei Orpheus und Euridice, sondern um die Aufhebung des Todes. Jesus bettelt nicht um einen Happen Zeit. Nicht um eine Fristverlängerung, nicht um eine Ausnahme. Jesus nimmt das Ganze: die neue Existenz im Reich Gottes. – Nur deswegen können wir den Tag Allerseelen zum Fest machen: dieser Macht wegen. Ostern: kein Kompromiss, keine Schicksalsergebenheit, keine Resignation. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Jo 10,10). Göttliche Maßlosigkeit. „Der Stein ist weg, das Grab ist leer“, singt ein Osterlied. Der lakonische Vers sagt es alles, was wir Christen am Fest Allerseelen wissen müssen: Der Stein ist weg, das Grab ist leer. Ostern erklärt Allerseelen. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören