25. Sonntag im Jahreskreis, 20. September 2020
25. Sonntag im Jahreskreis, 20. September 2020 – Die Verstörung – Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Auf dieses Evangelium gibt es drei mögliche Reaktionen. Einmal die Null-Reaktion. Sie hören „Aus dem heiligen Evangelium nach…“ – und sind fort, in Gedanken bei der Weinlese, bei einem Krach letzte Woche oder beim Motorrad. Fort, weg. Dann das Unbehagen: Sie hören zu, aber nicht konzentriert, vielleicht auch ohne die Unterstützung, die Sie bräuchten. Der Priester schließt das Evangeliar, und bei Ihnen bleibt ein Unbehagen: „Was? Was geht da ab? Irgendetwas stimmt hier nicht.“ Dabei bleibt es; Sie kommen nicht weiter. Die dritte mögliche Reaktion ist die Verstörung. So recht der Gutsherr auch haben mag, was da geschieht, ist unerhört. Die Arbeiter der ersten Stunde sind außer sich, und wir dürfen annehmen, dass auch die Arbeiter der letzten Stunde verstört sind. Alles rechtens und nichts stimmt. Der Gutsherr macht, was er will, er darf das, niemand kann sich wirklich beklagen – und dennoch hat er am Abend dieses Tages kein Herz wirklich gewonnen. Er hat alle verstört. Fällt Ihnen auf, dass das öfter geschieht in den Evangelien? Jesus sitzt mit Leuten beisammen, mit denen man nicht beisammensitzen sollte. Mit Säufern, Betrügern, Ausbeutern, Huren. Sein gutes Recht, schön sogar. Und dennoch… Oder Jesus weckt Tote auf. Das ist doch verstörend, oder? Jesus prügelt Händler aus dem Tempel. Er scheint die Macht in Israel übernehmen zu wollen, jedenfalls hoffen das seine Leute, – und lässt sich dann festnehmen und kreuzigen. Und ist die Auferstehung nicht die letzte gewaltigste Verstörung? Warum das alles? Vielleicht weil es genau darum geht: uns zu verstören. Wenn dieses Evangelium nicht ein Unbehagen, Ärger, Fragen auslöst, geschieht nichts. Soll die Kirche aber der Ort sein, wo nichts geschieht? Viele Leute haben Stress, stimmt. Aber sie sind nicht verstört, im Gegenteil. Sie meinen, sich selbst ganz gut zu kennen, sie verdrängen die Schattenseiten und haben ihre Ruhe. Keine Verstörung. Andere sind verstört, aber auf ganz falsche Weise. Sie haben ein hohes Ideal – und Schuldgefühle, weil sie es nicht erreichen. Ein schlechtes Gewissen. Dieses schlechte Gewissen hat aber nichts mit den anderen zu tun, auch nichts mit Gott, nur mit der Vorstellung, die diese Menschen von sich selbst haben. Sie ärgern sich über sich selbst. Sie sind verstört, aber dabei geht es nur um sie selbst und ihre Idee von Gott. Aber was ist mit dem wirklichen Gott? Und was hat das Ideal mit dem wirklichen Menschen zu tun? Mit seinen Sehnsüchten, Bedürfnissen, Nöten? Mit dem, was er sich wirklich wünscht? Idealisten brauchen Gott nicht und keine Gnade; sie haben ja ihr Ideal. Und das ist das Problem. Sie sehen: Faulheit und hohe Ideale, beides kann die Bewegung verhindern. Da ist das Evangelium eine Chance, weil das Bild des Gutsherrn jeden verstört. Wer aber verstört ist, wird eher bereit sein, seine hohen Ideale aufzugeben oder seine Trägheit und echt zu werden. Die Krise (denn darum geht es) führt zur Echtheit. Zu unserer Echtheit gehört aber auch unsere Schwäche. Ihre Schwäche ist eine Chance. Zu Gott finden wir nur über die Erfahrung der Schwäche. Die sich für stark und toll halten, finden Gott nicht. Gottes Kraft kommt in der menschlichen Schwachheit zur Vollendung: klare Lehre des Apostels (s. 2 Kor 12,9). Das heißt nicht, sich in den eigenen Schwächen einrichten, resigniert oder sogar irgendwie stolz. Die Schwächen müssen wie Wunden bleiben. Schwächen, Prüfungen, Erniedrigungen (und wer kassiert die nicht?), all das spürt das echte Leben in uns auf und befreit es. Wir sind verwundbar, – und gerade darin ist die tiefste Kraft verborgen. Wer erkennt, dass er schwach ist, der wird erschüttert. Ich habe mir so viel vorgemacht… ich habe so oft versagt… Die Erschütterung, die das Evangelium auslöst, ist das Werk des Heiligen Geistes. Er will etwas sehr Tiefes in uns freilegen. Das kann der Heilige Geist nur, wenn er uns aufbricht. Durch äußere Dinge, Ereignisse oder von innen her. Sie kennen den Psalmvers: „Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, o Herr, nicht verschmähen“ (Ps 51,17). Für Leute, die nur ihre Frieden haben wollen, ist das natürlich nichts. Wer aber echt sein will und zu Gott finden will, der kann sich freuen, wenn es ihn wirbelt und erschüttert. Er wird im Rückblick sogar dankbar sein für Schwächen und Krisen. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken…“, sagt Gott. Das zu entdecken, kann einen mitnehmen und fertigmachen. Aber dann, mit diesem überraschenden Gott, wird man frei. Erwachsen. Wie Paulus. Er sitzt im Gefängnis, aber in Wahrheit ist er frei. Vielleicht kommt er zu seinen Gemeinden zurück, vielleicht wird man ihn hinrichten. Egal. Er ist überall mit Christus verbunden. In seiner Stärke und in seiner Schwäche. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören