Fest Kreuzerhöhung, 14. September 2020
Fest Kreuzerhöhung, 14. September 2020 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes „Damals.“ – Sagen Sie das nicht. Denken Sie so nicht. Sagen Sie auch nicht „deshalb“, fragen Sie nicht „warum?“ Die unter dem Kreuz reden so nicht. „Stabant juxta crucem.“ – „Sie standen beim Kreuz.“ Maria und die anderen Frauen, Johannes und der römische Hauptmann. Unter dem Kreuz sind sie nicht klug; sie entwickeln keine Theorien; sie sagen nicht „deshalb“, nachdem sie einander gefragt haben: „Warum?“ Die dort stehen, fragen nicht nach Gründen. Vielleicht beten sie noch nicht einmal. Und sie sagen ganz bestimmt nicht „damals“, denn für sie ist jetzt. Sie sind da. In genau diesem Moment. Bei ihm. Und er bei ihnen. Der am Kreuz hängt und die, die jetzt beim ihm sind: Das ist die Kirche. Das „Wahre Kreuz“, jene Reliquie, die die Kaiserin Helena wiedergefunden hatte, wurde jedes Jahr am 14. September den Gläubigen in Jerusalem gezeigt, hocherhoben. Wie die Hostie bei der Wandlung. Am 14. September feiern wir aber nicht ein Folterinstrument und auch nicht die Reliquie. Wir feiern den Moment am Kreuz. Drei Stunden, mehr nicht. In diesen drei Stunden wird das Foltergerät der Römer verwandelt in ein Siegeszeichen, und die Reliquie wird erst geschaffen. Ohne den Tod am Kreuz keine Reliquie, keine Verwandlung, keine Auffindung, keine Kaiserin, keine Verehrung. Kein Heil. Wir sind hier, weil das damals geschah. Ist das also die Kirche: ein Geschichtsverein, der sich erinnert? Doch was ich Ihnen hier sage, ist schon Theologie, Wissen, Forschung, Erklärung, Deutung. Ich setze Worte zwischen das Kreuz und uns hier. Worte und 2000 Jahre. Und was geschieht? Distanz. Das Kreuz rückt fern. Diese Distanz ist die Grundbedingung des normalen, alltäglichen Kirchenbetriebs. Der davon lebt, dass Jesus damals ist, nicht jetzt. So viele Frauen und Männer wollen auf sicherem Festland bleiben, unbedingt. Dort, wo keine Erschütterung droht, wo jede Idee durch eine Gegenidee abgesichert ist. Sie wollen eine Kirche, die stolz ist auf Reliquien, Gründungsurkunden, ehrwürdige Gebäude, alte Bräuche. Alles das aber dient dem Damals. Der Entfernung Jesu. Das ist die Nummer sicher. Das ist die Schachtel mit alten Familienbildern, von denen keine Gefahr mehr ausgeht. Was tun wir hier? Wir schaffen die Geschichte weg. Das ist der Sinn der Messe. Wir schaffen die Jahre weg, die sich zwischen den Karfreitag und diese Stunde schieben. Wir sind hier gleichzeitig mit Christus. Das ist der Punkt: Gleichzeitigkeit statt Geschichte. „Jesus lebt!“, bedeutet doch genau dies. Nur wer gleichzeitig mit Christus ist, kann ihn erkennen. Was nützte Ihnen die Erkenntnis eines Typen von vor 2000 Jahren? – Ein Erkennen nicht in dem Sinn, dass man sagen könnte: „Hab‘ ich dich!“ Sie wissen es doch auch: Je näher, je gleichzeitiger ich einem Menschen bin, desto größer wird sein Geheimnis. Das gilt unendlich viel mehr bei Christus. Er ist da, und weil er da ist, ist er nicht zu fassen, schon gar nicht mit der Vernunft. Die unter dem Kreuz waren, haben ihn nicht verstanden. Ganz im Gegenteil! Sie haben gelitten, geliebt, geglaubt. Das hier ist das Ende aller Gemütlichkeit, aller kluger Erwägungen bei einer Tasse Kaffee, aller Distanz. Da wird nicht mehr gefragt: „Wie waren Ihre Ferien?“ Da wird es ernst. Spüren Sie nicht, manchmal wenigstens, die ungeheure Zumutung der Messe? Schon, dass sie beginnt mit dem Kreuzzeichen… Das Kreuzzeichen machen, was bedeutet das anderes, als dass ich mir das Kreuz auflege, meinem Denken, meinem Fühlen, meinem Tun? Doch woher soll ich morgens um halb neun die Kraft dafür nehmen? Woher den Mut? Und es wird nicht leichter. „Ebenso nahm er nach dem Mahl diesen erhabenen Kelch…“ Hören Sie das? Diesen Kelch, denselben. Damit ist eine Grundwahrheit der Eucharistie ausgedrückt: Wir spielen hier nicht Abendmahl, das Abendmahl wird auch nicht ständig wiederholt, nein, genau der Moment, in dem Jesus stirbt, wird gegenwärtig. Gleichzeitig. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ bedeutet: Wir sind am Kreuz dabei, im Moment der Wandlung. Gleichzeitig. Kein Damals mehr, auch kein Verstehen, nur andauerndes Scheitern. So wie die unterm Kreuz scheiterten. Die Feier der Messe ist ein andauerndes, glückliches Scheitern. Wir bleiben nach jeder Messe erschöpft zurück. Und mit neuer Kraft. Wie sie ein bloßes Hüten der Geschichte nie geben kann. Christus ist da, nicht damals. Er tritt auf jeden hier zu und fordert eine Antwort von ihm. Unausweichlich. Das ist genau das, was die Kirche heute braucht: Unausweichlichkeit. Das Tagesgebet des Festes sagt. Er hat „den Tod am Kreuz auf sich genommen, um alle Menschen zu erlösen.“ Hier verstehen Sie es selbst: Eine Erinnerung kann nicht erlösen, was nur, nur damals war, kann nicht alle Menschen aller Zeiten erreichen. Das kann nur der Auferstandene. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören