Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Dienstag der 32. Woche im Jahreskreis, 8. November 2016

13/12/2016 


Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

Gott? Den hat noch nie einer gesehen. Das sagt sogar die Bibel. „Niemand hat Gott je gesehen.“ Das steht im Johannes-Evangelium. Na denn. So kann man die Gottesfrage erledigen. Die meisten tun das ja auch; jedenfalls in unserem Kulturkreis hier. Gott ist kein Thema für den durchschnittlichen West-Europäer.

Wenn wir schon bei „den meisten“ sind, beim ganz normalen, durchschnittlichen Menschen: Die meisten werden krank, wenn sie nicht wissen, woher sie kommen, wer ihr Vater ist oder ihre Mutter. Ohne Geschichte wird die Seele des Menschen schwer; ohne Aufgabe und ein echtes Ziel. Die meisten Menschen werden unglücklich, wenn keiner ihnen etwas zutraut, niemand etwas von ihnen erwartet, wenn sie ausgemustert werden. Sie wissen es, nicht wahr? Sie wissen, dass Scharen von jungen Männern heute genau diese Situation leben. Was wird aus ihnen werden? Können wir Christen den Menschen eine Geschichte und einen Auftrag geben? Ja, wir können es!

Doch zurück zu Gott. Den niemand je gesehen hat. Nun wird uns heute aber ein Wort gesagt, von Paulus, das diese Feststellung unterminiert. Niemand hat Gott je gesehen, aber „die Gnade Gottes ist erschienen“. Sie wurde also sichtbar. Sichtbare Gnade.

Wir merken, dass sich da ein Widerhaken festsetzt, das immerhin; aber dennoch ist der Satz zuerst einmal leer. Bibel-Gerede. Was soll das bedeuten: „Gnade“ und „Erscheinung“?

Es geht nicht um Geister, die erscheinen; auch nicht um Marien-Erscheinungen. Das Wort „Erscheinung“ kommt hier aus der Welt des römischen Reiches. Es meint ursprünglich den Auftritt. Den Auftritt des siegreichen Feldherrn, des strahlenden, allmächtigen Kaisers. Es erscheint eine Macht, die Schutz bietet und vor Gefahr rettet. Paulus überträgt das auf Christus (dass er damit jeden Staatskult ein für alle mal erledigt, sei nur nebenher gesagt). Christus ist jene Gnade Gottes, die erschienen ist. Gnade, das ist Gottes Kraft; ganz innerlich; weit über das Politische hinaustreibend; rettend, aber so anders als ein Feldherr. Gnade ist belebend, erhellend, leitend, gestaltend. Gnade ist das Wohlwollen Gottes. Gnade wird sichtbar („sie erscheint“) in Jesus aus Nazareth.

Wo aber einer zu sehen ist, zu berühren ist, zu hören, wo man sich an einen erinnern kann, da ist Halt. Wo Gnade ist, da ist ein Halt, aber kein Zwang. Wo Jesus Christus ist, haben wir eine Herkunft. Christen haben Wurzeln – und können wachsen. Sie haben eine Geschichte und haben Freiheit. Christen können sein wie Kinder, spielend, schauend, lachend. Und wie Erwachsene, „besonnen, gerecht und fromm“. Menschen mit einem Auftrag.

Und mit einem Ziel. „Das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus“, so beschreibt Paulus das Ziel. Den Endpunkt. Wir leben nämlich in einem Prozess, in einer Zwischenzeit. Die Kirche lebt zwischen dem Erscheinen der Gnade und dem Erscheinen der Herrlichkeit. Zwischen erster Ahnung und endgültiger, vollkommener Klarheit.

Als Jesus Christus erschien, war er zu sehen – aber nicht für alle. Denn er erschien in einem bestimmten Moment, in einem bestimmten Land, vor ausgewählten Menschen. Man konnte ihm zuhören oder sich abwenden, ihm folgen oder sitzen bleiben im alten Leben; an ihn glauben oder nichts glauben. Wenn er dann erscheint, endet der Übergang; dann hat die Suche ein Ende. Es gibt es keinen Zweifel mehr, sondern nur noch Erkenntnis. Und zwar für alle Menschen. Das Ende der Geschichte.

Diese Lehre aus dem Brief am Titus hebt das Christentum weit hinaus über Pfarrcafé und Gitarren-Andacht, sogar noch über das Motto „den Glauben verteidigen und den Armen beistehen“. Paulus hebt uns hinein in weltgeschichtliche, heilsgeschichtliche Dimensionen, – an denen aber noch das schlichteste Mütterlein teilhat, das seinen Rosenkranz betet.

Wir sind in die Zwischenzeit gestellt. In der die Gnade handelt. Christus wirkt, jetzt, auch hier, „um sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein besonderes Eigentum gehört.“

Wir stehen, und zwar alle, alle Stände, Klassen, Generationen in einem großen Gestaltungsprozess. Die Gnade formt uns. Denn die Art, wie wir Christen leben, soll alle Menschen retten. Die Gnade erzieht uns dazu, uns bewusst loszusagen „von der Gottlosigkeit“, wirklich in dieser Welt zu leben, statt uns aus ihr davonzuschleichen. Sie lässt uns warten, aktiv, gestaltend, auf das Erscheinen der Herrlichkeit Christi.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

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