Allerheiligen 2025
Allerheiligen 2025 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Wir schließen. Hört man derzeit oft. Aber es geht jetzt nicht um Wäschereien, Sonnenstudios und glücklose Cafés. Die Welt schließt, scheint mir. Sie schließen oder lassen sich einschließen. Von Ihrem Termin-Kalender, von Ihrer Wut, von Ihren Sorgen oder Ihren Prinzipien. Und sehen Sie Politiker, die diese Welt offen halten? Ist der Schlachtruf „Machen wir XYZ wieder groß!“, ist der ein Zeichen von Offenheit? Etwas, das mal groß war, soll wieder groß werden? Also zurück in die Vergangenheit? Mehr fällt denen nicht ein? Wieviel Zukunft ist in Bratwurst- und Leberkäs-Selfies? Wieviel echte, positive, kreative Zukunft ist in „Alle Fremden raus!“? Für wen halten die zornigen Frauen die Welt offen? Auch für Männer? Und die queeren Leute? Mich dünkt, die halten die Welt nur offen für die, die sie gut finden, alle anderen können sich verpissen, Juden z. B. Jede Gruppe hat ihre eigene Welt und schließt sie ab. Und wir Katholiken, halten wir die Welt offen? Viele kämpfen nur noch für ein paar Verbesserungen hier-hier, jetzt-jetzt. Wenn die Kirche bunt und vielfältig ist oder wenn die Frauen geweiht werden oder wenn alle jungen Priester alte Messkleider tragen, dann ist alles gut. Mehr Phantasie haben die nicht? Mehr Glauben haben die nicht? Wer wirklich glaubt, ist offen. Wie die Heiligen. Viele Menschen in Deutschland hoffen gar nicht mehr auf die Zukunft. Alles ist so verfahren, so kompliziert, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen können, wie wir von hier aus noch in eine gute Zukunft gelangen sollen. Und dass wir die gute alte Zeit wiederkriegen, das glaubt keiner ernsthaft. Deswegen schauen alle, dass der status quo, der Ist-Zustand für sie einigermaßen auszuhalten ist, dann passt ‘s schon. So weit, so deprimierend. Wer also hält die Welt offen? Mir fallen ein paar ein. Ganz bestimmt die Kinder. Vielleicht Musiker oder welche, die Geschichten erzählen im Kino. Vielleicht der ruhige, nachdenkliche Papst. Und ganz sicher die Heiligen. Das sage ich nicht nur, weil wir Allerheiligen feiern. Ich denke das ganze Jahr über viel an die Heiligen. Warum tue ich das beinahe alleine? Warum kennen die meisten nicht einmal mehr ihren Namenspatron? Ich verstehe es nicht. Für mich sind die Heiligen der Beweis einer lebendigen Kirche. Einer großen Gemeinschaft. Die Heiligen halten die Welt offen. Nach oben. Das ist auch das Einzige, was sie alle verbindet. Ansonsten sind die Heiligen Frauen, Männer, Kinder, schlichte Gemüter, große Geister, stille Menschen und laute Menschen, schöne und hässliche, junge und alte, Schwarze und Weiße und Gelbe, wohlhabende und arme. „Katholisch“ heißt weit, weltweit, – nicht zuerst im geographischen Sinn: im geistigen und kulturellen Sinn. Die Kirche schaut das Leben dieser vielen, vielen Menschen ganz aufmerksam an, sie verehrt diese so verschiedenen Frauen und Männer und lobt sie buchstäblich in den Himmel. „Heilige sind Menschen, die die Welt offenhalten.“ Hört sich gut an, so richtig nach einer Predigt, die allen gefällt und keinen bewegt. – Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, die eigene Welt offen zu halten? Oder richtiger: sie immer wieder aufzureißen? Natürlich gibt es welche, die das wissen. Unternehmer, die sich etwas Neues trauen müssen, Eltern, die durch ihre Kinder in fremde Welten gestoßen werden und nicht gleich abwinken. Sogar die, die beim Laufen oder beim Kochen in einen Flow geraten, entdecken neue Welten. Es gibt gar nicht wenige, die an die Grenzen gehen. Aber halt nicht im Glauben. Da wird verwahrt, nicht aufgerissen. Bei den katholischen Funktionär*innen reicht schon ein lateinisches Gloria und sie machen zu wie beleidigte Muscheln. So ängstlich! Ich kenne Leute, die mir erzählen: „Also, ich bete! Ganz oft zum hl. Antonius. Immer, wenn ich was verloren habe.“ Acht Tage später heißt es dann: „Der hl. Antonius hat mir auch nicht geholfen!“ Ein, zwei Stoßgebete zum Heiligen: Das soll Gebet sein? Aufbruch? Gebet ist in Wahrheit Öffnung. Sich hinstellen und aushalten. Mal zuerst die Stille. Die Langeweile. Das Locken all der Dinge, die flüstern: „Erst ich, dann kannst du immer noch beten.“ Und dann, nach dem Aushalten, ist Gebet: Geist aufmachen, Herz aufmachen, Seele aufmachen, die frische Kälte Gottes einlassen, die verstörenden Bilder, die unzähligen Menschen, die dir in den Sinn kommen – und dann all das wieder ziehen lassen, nicht darauf hocken bleiben. Es ist schwer, die eigene Welt offen zu halten – nicht für Quatsch, Empörung, Sorgen und sogenannte „Neuigkeiten“, sondern für Gott, den keiner je gesehen hat. Ich bin überzeugt, jedes Gebet, jede Messe ist ein Gewaltakt [1]. Wie ein heftiges Training. Deswegen haben die Heiligen allesamt – Frauen, Kinder, Männer – etwas Heldenhaftes. Das müssen Sie auch haben. Sonst vergeht Ihnen die Hoffnung. Die Geschichte oder-und die eigenen Abgründe zeigen Ihnen ganz schnell, dass es Quatsch ist, Hoffnung auf die Menschheit zu setzen oder, noch dümmer, auf sich selbst. Heiligen hoffen nicht auf die Menschen, sie hoffen auf DEN Menschen. Sie sind heilig, weil sie Anteil haben an IHM. Weil sie gelernt haben: Ich schaffe es nicht allein, aber zusammen mit Christus, zusammen mit anderen, die wirklich an Christus glauben. Gutes Gewissen, aufgeblasenes Selbstvertrauen schließen; Pessimismus und träge Traurigkeit schließen. Sie müssen geduldig werden, auf das Unscheinbare achten, sich vorsichtig fortbewegen, aufbrechen, damit wir zusammen das Offene schauen. Zum Bußakt Die Leute erzählten, er sei ein Heiliger, der Mann drüben auf der Insel im stillen See. Der Bischof wollte den Mann sehen. Er ließ sich hinüberrudern und prüfte den Einsiedler. „Kannst du das Vaterunser beten?“, fragte er den alten Mann. „Ja, gewiss. Vater unser im Himmel, der du bist…“ Hier geriet der Einsiedler ins Stocken, wusste nicht weiter. Da lehrte ihn der Bischof das ganze Vaterunser. Gemeinsam sprachen sie das Gebet immer und immer wieder. Als der Tag sich neigte, brach der Bischof auf. Drüben am Ufer wandte er sich noch einmal um, er hob die Augen und sah… den Einsiedler, der eilig über das Wasser lief. Schon von Ferne rief der Einsiedler nach ihm: „Bischof, Bischof, warte!“ Endlich am Ufer sagte der Einsiedler: „Wie nochmal geht das Vaterunser? Ich habe es schon wieder vergessen!“ Da sank der Bischof in die Knie und küsste dem heiligen Einsiedler die Füße. Um heilig zu werden, muss man also noch nicht einmal das Vaterunser kennen. Aber von Gott, von Gott muss man doch wissen! Man muss Gott lieben, um heilig zu werden. Man muss Jesus Christus kennen. Was soll vorwärtsgehen, wenn keiner mehr Jesus Christus kennt und keiner mehr Gott liebt? [1] Siehe dazu Christian Lehnert, Das Haus und das Lamm, Berlin, Suhrkamp, 2023, S. 92: „Nicht Gedankensysteme und Mythen bilden der Leib der Religion, sondern das Schrittmaß ins Unbekannte, diese schutzlos ausgesetzte innere Bewegung. Diese hat den religiösen Menschen schon erfasst, wenn er beginnt nachzudenken…“ Und ebd. S. 94: „Das Poröse der Erscheinungen, ihre Risse ins Unerklärliche, ihre Wirrnis und Freude, ihre Abbruchkanten, sie machen Angst, aber sie sind ‚das Rettende auch“ von der Enge unserer Konstruktionen.“ Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören
Predigt in Trennfeld am Abend des 31. Oktobers 2025
