König Stephan von Ungarn, 16. 8. 2021
König Stephan von Ungarn, 16. 8. 2021 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Haben Sie Karl May gelesen, früher? Also, ich war für Kara Ben Nemsi und gegen den Shatterhand. Auch als ich aufs Gymnasium ging, war meine Welt noch gut geordnet: für Gregor VII., gegen Heinrich IV. Für Karl V., gegen Luther. Für den dunklen Philipp II. und gegen die Matz Elisabeth. Für Maria Theresia und gegen den Halunken von Potsdam. Für Kaiser Karl und gegen Kaiser Wilhelm. Und auf jeden Fall war ich für Könige. Der heilige König Stephan von Ungarn hätte mir auf Anhieb gefallen. Erst recht mit all diesen tollen Details: verwandt mit dem geheimnisvollen Kaiser Otto III.; verheiratet mit der bayerischen Gisela; verbunden mit der großen Reform von Cluny; gekrönt zum Apostolischen König am Weihnachtsfest des Jahres 1000. Mit Insignien, die ihm der Papst aus Rom gesandt hatte. Begründer des christlichen Königreiches Ungarn. Stifter von Kirchen und Klöstern und einem Hospiz in Jerusalem. Ein starker, gerechter und milder König. 1038 von Papst Gregor VII. heiliggesprochen. Es passt alles. Doch die Geschichte geht weiter. Nicht die des heiligen Königs von Ungarn, unsere. Wir sind keine Kinder mehr; wir sind erwachsen und müssen das Dunkle aushalten, vor dem die Kinder sich noch fürchten. Wir sind bereit, das Ideal der Wirklichkeit zu opfern oder beide mindestens zusammenzustellen. Konkurrenten lässt er blenden und ihnen Blei in die Ohren gießen, damit sie nicht König werden können. Stephan christianisierte das Land – auch mit Gewalt. Er zwang den heidnischen Völkern eine fremde Religion auf, das Christentum. Er zerstörte also die Kultur der Eingeborenen. Gerade so, wie es später Cortez tat? Und wie er da stand gegen die Polen und gegen die Bulgaren, war er nicht ein Kolonialist und Kriegstreiber? In diesen Tagen werden Denkmäler der Königin Victoria gestürzt. Dass die Denkmäler des heiligen Königs von Ungarn noch stehen, ist nur der Tatsache geschuldet, dass die woken Kämpfer*innen gegen Rassismus und Kolonialismus einfach ungebildet sind. Mittelalter? Hä? Der Angriff geht heute nicht gegen einzelne Figuren, sondern gegen die Geschichte selbst. Also auch gegen unsere Kirche, die ohne ihre Geschichte nicht sein kann. Die Geschichte soll gerichtet und ausgelöscht werden. Der Angriff wird geführt von Menschen, die selbst keine Geschichte haben. Jedenfalls keine, die sich kennen und prüfen ließe. Die Richter*innen können selbst nicht gerichtet werden. Es sind Menschen, die von irgendwoher kommen und irgendwohin weiterziehen, Kosmopolit*innen, die nicht einmal die Namen ihrer vier Großväter nennen könnten. Die seit vier Monaten hier leben, aber zu Gericht sitzen über die, die schon immer hier sind. Eine Buchhändlerin in Berlin muss sich gerade rechtfertigen, weil sie der Öffentlichkeit verschwiegen hatte, dass ihr Urgroßvater (!) ein hohes Tier bei den Nazis war. Was ist das Ziel? Rache, Vergeltung, Bestrafung? Zurück auf null? Reinheit? Sie wissen, wohin der Kampf um die selbst gemachte Reinheit führt? Die Gräber der Könige werden geschändet, auf den Altar von Notre-Dame wird eine Schauspielerin gesetzt: erster Schritt zur Reinigung der Geschichte. Zweiter Schritt: Robespierre endet als verhasster Tyrann, und die Inquisitoren wurden am Wegrand erschlagen. Die Kirche kann nicht sein ohne Geschichte. Deswegen geht der Angriff auf die Geschichte gegen uns hier. Schon fordert einer, alle Bilder eines weißen Jesus müssten verschwinden. Rassismus sei das. Eine andere fordert das Ende der Mathematik, die lehrt 2 plus 2 ist 4: Weißes Herrschaftswissen sei das. Gott wurde Mensch. Das Wort ist Fleisch geworden. Jesus ist nicht zu denken ohne die Geschichte seines Volkes, der Juden. Er gründet eine Kirche, die nicht sein kann ohne Menschen. Menschen aber sind nie rein. Er gründet eine Kirche, die nicht sein kann ohne die Tradition. Was ist Tradition? Tradition ist die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten und derer, die noch kommen werden. Die Sekten sind die, die neu beginnen können. Wir nicht. Die Häretiker sind die Reinen, – solange man ihnen nicht in die Seele blickt. Wir leben mit den Heiligen der Geschichte. Wir wissen, dass ein Mann wie Stephan von Ungarn heute wohl nicht mehr heiliggesprochen werden würde. Wir wissen, dass die Heiligen nicht die Reinen sind, sondern einfach Männer und Frauen, für die Gott das große Thema ihres Lebens war, innerlich wie öffentlich. Gottes-Männer, Gottes-Frauen, ja. Aber nicht rein von aller Sünde und allem Makel. Die Heiligen waren Sünder. Selbst Maria wäre Sünderin gewesen, hätte Gott ihr nicht das Privileg der Reinheit verliehen. Was ist das Ziel des Evangeliums? Nicht Reinheit. Gerechtigkeit? Also Strafe und Vergeltung? Wäre das die Botschaft des Kreuzes? Nein, das Ziel des Evangeliums ist das Reich Gottes. Das aber wächst in der Zeit. Die Geschichte wird getragen von Menschen, und Menschen sind gemischt aus Licht und Schatten. Petrus ist Verräter und Apostel. Licht ist nicht schon, es soll werden. Gefeiert wird heute ein heiliger König, also eine Existenz, die öffentlich ist. Der König ist der Nicht-Verborgene. Deswegen heißt es in der Lesung: „Mose sprach zum Volk.“ Nicht zum Einzelnen, sondern zum Volk. „Höre!“ – Mose fordert einen kollektiven Akt des Hörens. Also die bewusste, immer wieder erneuerte Hinwendung der Gemeinschaft zu Gott. „Höre auf Gott – damit es dir gut geht.“ Die Gesellschaft, die sich auf Gott einstellt, wird es guthaben. Das ist die Grundüberzeugung des christlichen Königs. Die Grundüberzeugung des modernen Zeitungslesers ist, dass die Religion Schaden über den Menschen bringe, also kontrolliert werden müsse. Mag sein. Aber was, wenn sich alle wirklich auf Gott einließen? Auf die immer läuternde Erfahrung Gottes? Wie wäre eine Gesellschaft, die die zehn Gebote lebt, weil sie Gott liebt? Ein Glück oder ein Fluch? Einer Gesellschaft, die wirklich glaubt, wird es gut gehen. Weil sie in Bewegung bleibt. Weil sie Gott nicht besitzt, sondern liebt. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören