Montag, 31. Mai 2021, 9. Woche im Jahreskreis
Montag, 31. Mai 2021, 9. Woche im Jahreskreis (Lesungen vom Donnerstag derselben Woche) (Lesungen vom Donnerstag derselben Woche) Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Eine Liebesgeschichte, die nicht geht. Nein, schlimmer: eine Liebesgeschichte, die gar keine ist. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Väter, die ihre Töchter verheiraten. Ehe der Sitten wegen. Männer, die das Wort führen und Frauen, die Amen sagen. Dazu noch höhere Mächte, Engel und Gebete: Solche Texte haben kein Existenzrecht mehr. Sie dürften, wären wir an irgendeiner amerikanischen Universität, den Student*innen nicht mehr vorgelegt werden. Weil das Buch Tobit offenkundig von der Unterdrückung der Frau erzählt und so das Unrecht am Leben hält. Wenn solche Texte irgendwie überdauern sollen, dann müssen sie gereinigt werden. Was andere diskriminiert, muss weg. Habe ich die derzeitige Mentalität falsch skizziert? Falsche Schlüsse gezogen? Ich stelle jedenfalls Folgendes fest: Das 21. Jahrhundert fällt sein Urteil über eine Schrift aus dem dritten Jahrhundert vor Christus. Für das 21. Jahrhundert sprechen Frauen (Männer eher nicht), Personen, die sich auf kein Geschlecht festlegen wollen, Farbige (oder muss man people of color sagen? Muss man Englisch reden?), kurz: alle Gruppen, denen in der Geschichte Unrecht getan wurde. Jetzt sind sie am Zug. Und wann wird das Unrecht vergolten sein? An welchen Maßstäben orientiert sich diese Rechtsprechung? Sind das ewige Maßstäbe? Gibt es plötzlich wieder ewige Gesetze, nachdem man uns jahrzehntelang gesagt hat, nichts sei ewig, nichts sei universal? Wie wird man Richterin und Richter über andere Jahrhunderte? Das sind die Fragen, die ich den Theologen der Inquisition gerne stellen würde. Und den französischen Revolutionären. Und den Chefdenkern der Kommunisten. Und den Militanten heute. Die Geschichte wiederholt sich tatsächlich. Das ist die niederschmetternde Erkenntnis. Wo Bücher nicht verbrannt werden, werden sie eben verboten. Und wir? Was sollen wir mit unserer Heiligen Schrift tun? Sollen wir aussteigen aus alldem, uns zurückziehen in die Sakristeien und Stuhlkreise und die böse Welt ihrem Lauf überlassen? Vielen Christen scheint das die Lösung zu sein. Katholisch geht anders! Aussteigen, sich gleichzeitig verfolgt und besser fühlen, ist der sichere Weg in die Sekte und Häresie. Also noch einmal: Was sollen wir tun mit unserer Heiligen Schrift? Eins zu eins übernehmen, geht nicht. Schon deswegen nicht: Die Gelehrten können beweisen, dass das Buch Tobit nicht, wie es vorgibt, aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. stammen kann. Warum? Weil darin von Dingen die Rede ist, die es im 8. Jht. nicht gab, nicht gegeben haben kann. Eins zu Null. Wer mit der Bibel umgeht, kann kein Buch darin absolut setzen. Immer hat die Kirche die Bücher der Heiligen Schrift mit einander in Beziehung gesetzt. Das ist eine Relativierung. Den Text der heutigen Lesung absolut setzen, geht also nicht. Ihn komplett abtun, geht auch nicht. Er bleibt Teil der Heiligen Schrift. Er ist, in irgendeiner Weise, Wort Gottes für uns. Wie genau, das herauszufinden, ist immer waghalsig, fehlbar. Es gibt kein objektives Verstehen der Schrift. Jeder liest subjektiv. Ich liebe den Text. Es ist gar nicht schwer. Mein Herz war schon gewonnen, als der Engel zu Tobias sagt: „Bruder!“ Der Schutzengel ist der Weggefährte. Der Engel wird zum Bruder des Menschen. Unter diesem Motto steht das Abenteuer Tobias und Saras. Die Gefahr ist reell. Nicht nur die Gefahr, dass auch Tobias die Hochzeitsnacht nicht überlebt, wie seine sieben Vorgänger, sondern auch die Gefahr, dass die beiden Menschen, die da von Recht und Familie zusammengeführt werden, nie zueinander finden. Die Gefahr ist echt, und doch geht gleich von Anfang an ein großes Aufatmen durch die Erzählung. „Bruder!“ „Jeder ist noch in derselben Nacht gestorben. Aber lass es dir trotzdem gut gehen!“ Das nenne ich treuherzig! Die ganze Erfahrung spricht gegen die Hoffnung. Das kennen Sie doch auch: dass Ihre ganze Lebenserfahrung gegen die Hoffnung spricht. Aber sind Christen Sklaven der Erfahrung? Es sähe schlecht aus für uns. Wir entscheiden uns zu hoffen. „Sie jetzt nach Recht und Gesetz deine Frau. Sie gehört dir.“ Hören Sie da nur dieses eine „Sie gehört jetzt dir“? Die Frau gehört dem Mann? Geht es vor allem darum? Muss der Text also weg? Raguel fügt hinzu: „Der barmherzige Gott schenke euch viel Glück.“ Dieser Mann, der Sitte und Recht auf seiner Seite weiß, der meinen könnte, er habe alles richtig gemacht, ahnt, dass das nicht reicht. – Sie können Recht haben, Sie können alles richtig machen, aber ohne das Glück, das Gott dazugibt, wird es nichts. Rechtschaffenheit allein, die selbstgefällige, undankbare Rechtschaffenheit allein bringt nichts außer dem guten Gewissen des Spießbürgers. „Hab Vertrauen mein Kind! Nach so viel Leid schenke dir der Herr endlich Freude.“ – Sollen wir dieses lebenskluge und schöne Wort auch wegwerfen, zusammen mit Recht und Gesetz und Vätern und Männern? „Und er begann zu beten.“ – Ist nun jedes Gebet erledigt, weil der Kontext nicht perfekt ist? Ich kenne kein perfektes Gebet als das der Jungfrau Maria. Wir beten alle recht und schlecht. „Nicht aus reiner Lust, sondern aus wahrer Liebe.“ Ist dieser Unterschied nicht noch immer wesentlich? „Und Sara sagte zusammen mit ihm: Amen.“ – Kommt es beim Gebet und bei der Liebe auf Parität an? 50 % der Mann, 50 % die Frau: Ist es dann erst gut? Es gibt Bereiche im Leben, wo nicht gerechnet wird. „Und beide schliefen die Nacht über miteinander.“ – So einfach endet die Geschichte. So schön. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören