Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Stefanitag 2020

26/12/2020 


Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

Sie wünschen sich eine Idylle. Wenigstens zu den Feiertagen. Und wie stellen Sie sich die Idylle vor? Wie einen Mix aus „Kevin allein zu Haus“, „Tatsächlich Liebe“ und „Der kleine Lord“? Sie würden gerne weinen vor Glück und vor Erschöpfung? Tun Sie das. Aber Sie wissen: In dieser Welt werden Sie keine Idylle bekommen. Hier bekommen Sie nur: den Glauben und das Leben. Der Glaube aber ist fest und zugleich unsicher. Der Glaube tastet, Schritt für Schritt. Und das Leben? Das kann mal der Himmel sein und dann wieder die Hölle.

Wer sich ein wenig auskennt mit dem Christentum, weiß: An Weihnachten wird die Menschwerdung Gottes gefeiert (und ganz sicher nicht die Familie). Oder, noch seltsamer formuliert: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Das klingt für die meisten nach Küche und Essen, aber in Wahrheit ist es das Gegenstück zum Weihnachtsevangelium, wo es heißt: „Und sie gebar ihren Sohn.“ – Jene Geburt im Stall bedeutet: Das Wort, also etwas ganz Geistiges, wird Fleisch: etwas sehr Konkretes, Handfestes, Berührbares (!). Geist wird Mensch. Gott wird ein Kind, Jesus aus Nazareth. Das findet man bizarr, – oder aber man wird mit dem Staunen nie mehr fertig.

Menschwerdung Gottes also. Aber wo? In dieser Welt. In keiner anderen. In dieser Welt, die vergänglich ist, aber da ist. Die schön ist, und in der Steine fliegen. – Gott wird Mensch in einer Welt, in der die Mädchen leben, die uns nicht erhört haben. Und die Jungs, die uns verlassen haben. Die Fremden, die uns ignoriert haben; die Eltern, die uns nicht verstanden haben; die Firmen, die uns entlassen haben; die Lehrer, die uns nichts zugetraut haben.

Gott wird Mensch in dieser Welt. In der es Typen gibt, die uns verprügelt haben; Geschwister, die über uns gelacht haben; Freunde, die uns aufgegeben haben; Anführer, die uns ausgeschlossen haben. In dieser Welt liegen die Umarmungen noch in der Luft, die wir nicht bekommen haben. Weil keiner uns auch nur gesehen hat. Sie waren alle zu beschäftigt. Während ich dich anschaute, hast Du woanders hingesehen.

Leiden tut immer weh. Kummer ist kein Sport; da gibt es keine ersten und zweiten Plätze. Gott wird Mensch in dieser Welt, in der Menschen gequält werden von Pickeln und Schüchternheit. In der es Menschen gibt, die keine Luft mehr bekommen und solche, die leiden an Unsicherheit oder Dehnungsstreifen oder Kahlheit oder Magersucht oder, weil sie dick sind oder einfach, weil sie verschieden sind. Sagt Gott: „Dein Leiden ist okay, aber Ihr Leiden, das ist Mist?“ Gott wird Mensch in dieser Welt. Da gibt es Menschen, die beschimpft wegen ihrer Hautfarbe oder wegen ihrer sexuellen Orientierung. Es gibt leere Brieftaschen und körperliche Mängel und Streit mit den älteren Geschwistern. Es gibt untröstliches Weinen. Es gibt den Abgrund unserer Bedeutungslosigkeit und die tiefen Höhlen unserer Verlorenheit und die Leere in uns. Es gibt den Gedanken, mit allem Schluss zu machen. Gott wird Mensch in dieser Welt, in der es keinen Ort gibt um auszuruhen, keinen, wo du für immer bleiben kannst, nichts, zu dem du wirklich gehörst. Nichts, nichts, nichts: Genauso. Und dort ist Gott seit jenem ersten Weihnachten. Er ist da. Mehr Trost ist nicht. Gott ist da. Und das ist ein Trost, weil Gott Gott ist.

Jesus lebt in einer Welt, in der so viele Menschen „ein Problem“ genannt werden: Wir, die verraten wurden. Und aufgegeben wurden. Zurückgewiesen, missverstanden, beiseitegestellt, mit Steinen beworfen. Aber in Wahrheit sind wir die Lösung. Ihr, die Täter, ihr seid das Problem. „Hier ist kein Platz für dich“, sagen sie zu Stephanus. Und heben Steine auf. Doch Stephanus kennt seinen Platz. Und jetzt kennen wir unseren Platz. Unser Platz ist hier. Unser Platz ist die Kirche.

Nüchtern und ehrlich betrachtet, sind wir alle erbärmliche Wichte, mag sein, ja. Aber Gott hat uns zusammengebracht, um eine glorreiche Kirche daraus zu formen. Stephanus ist die glorreiche Kirche. Stephanus, der glaubt und streitet und im Dreck liegt, blutig, er ist die Kirche. Er ist wir.

Wir können das Wohnzimmer rosa streichen, uns jeden Abend zu saufen oder richtig fies und gemein werden oder bittgötterisch. Oder uns wie Stefan hinstellen, sagen, was wahr ist, standhalten. – In der Welt, in der irgendein neugeborenes Kind in einer Krippe liegt, sind wir die, die vergessen werden. Aber nicht bei diesem Kind. Da ist keiner vergessen.

„Und als alle, die im Hohen Rat saßen, auf ihn blickten, erschien ihnen sein Gesicht wie das Gesicht eines Engels.“ So heißt es von Stephanus. – Sie wissen, was die Engel sehen? Die Engel sehen Gott. Sie sehen die Herrlichkeit Gottes, und die Ewigkeit reicht nicht, um damit zu Ende zu kommen. So unendlich und so schön ist Gott. Stephanus rief: „Ich sehe den Himmel offen…!“ Ich sage Ihnen jetzt etwas Vermessenes, etwas, das Sie nicht gleich akzeptieren werden. Ich sage Ihnen: Wenn die anderen Sie ansehen und den Glanz des Himmels ahnen, – dann wird die Welt anders. Niemals überall und in allen Strukturen, aber hier, da, dort, in diesem Mann, dieser Frau. In Stephanus und in Ihnen und in Ihnen…

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

Die Predigt zum Download finden Sie hier!

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