24. Sonntag i. J., 13. September 2020
24. Sonntag i. J., 13. September 2020 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Ein stilles Kloster, gut behütet, verborgen hinter Bäumen. Ein Dorf weit draußen am Land. Eine kleine Kirche, an der die Leute achtlos vorübergehen. Frieden. Doch da steht ein Fenster offen, nur einen Spalt weit. Dort läuft der Fernseher. Hier kommen ein paar Reisende, bleiben kurz, fahren weiter. So dringt das Unsichtbare ein. Es kommt durch winzige Öffnungen, in Tönen und Bildern und anderen Menschen. Das Unsichtbare hat einen Namen: Feindschaft. Die Zeit dringt überall ein. Heute sind die Menschen einander Feinde geworden. Immer schwieriger wird das Gespräch; sie sagen Dinge, die noch vor kurzer Zeit undenkbar waren; wir hören, was einfach nicht wahr sein kann, was gegen jede Vernunft ist und dennoch laut gerufen wird. Und so werden wir traurig oder hilflos oder hart. Die Menschen können einander nicht mehr vergeben. Sie können sich vielleicht noch aus dem Weg gehen, um eine Art Frieden zu halten. Aber da sind schon zu viele, die bereit sind zum Krieg. Zum Krieg der Worte, vorerst. Aber manchen reicht der nicht mehr. Das ist die Zeit der Kirche. Wenn der Papst zur Versöhnung aufruft, wieder einmal, – gähnen alle. Wenn die Hl. Schrift von der Versöhnung spricht, hören wir das mit einer Mischung aus Langeweile, Scham und Ungeduld. Natürlich spricht die Bibel von Vergebung, das weiß doch jeder. Es ist langweilig. Gleichzeitig ahnt jeder: Ja, das wäre mein Thema, das müsste ich angehen. Denn da ist einer, dem ich nicht vergeben habe; da gibt es die, mit der ich seit Jahren in Streit lebe. Aber sich aussöhnen, das ist so mühsam, so aussichtslos, so peinlich. Und warum soll ich den ersten Schritt machen? Die haben angefangen! Also ein andermal, später. Mit der Versöhnung ist es wie mit der Diät oder dem Sport: Gute Idee, aber … morgen, nicht heute. Wir finden die Vergebung eine schöne Idee, aber nicht überlebensnotwendig. Weil wir dumm sind. Weil wir nicht merken, was unsere Zeit braucht. Weil uns Jesus fremd geblieben ist. – „Denk an das Ende“, heißt es in der ersten Lesung. Manchmal lohnt es sich, vom Sterbebett her zu denken. Von dort aus kapiert man, was wirklich wichtig ist. Mit wem hätte ich noch reden müssen? Mit wem hätte ich mich versöhnen müssen? „Groll und Zorn…“ – lohnt das am Ende? Was ist, wenn sich keiner mehr versöhnt? Alles blockiert. Stillstand. Und dann? Wird es trocken. Hart. Es versteinert. Alle Leichtigkeit ist fort. Eine Familie wird wie saurer Boden, eine unversöhnte Nation verschwindet wie unter Betonplatten. „Vergeben kann ich, aber vergessen nicht!“, sagt der Mann. Das ist ein mühseliges, dummes Wort. Das Vergeben untersteht dem Entschluss, dem Willen, das Vergessen nicht. Die Erinnerungen sind einfach da, man kann sie nicht abschalten. Die Frage ist: Wie gehe ich mit ihnen um? Sind meine Erinnerungen da, weil ich eben ein Mensch bin und in der Geschichte lebe? Oder sind Sie mein Besitz, den ich hüten muss? Mancher sitzt auf dem, was ihm angetan wurde. Das erlittene Unrecht wird zum Erbstück, das man nicht hergeben will. Niemals! Ein ganzes Dorf kann so werden. Den adligen Grundherren verzeihen? Nein, das darf ein echter Bauer nicht. Ein ganzes Land kann so werden: Rumänen können Ungarn nicht verzeihen, die Deutschen können den Engländern Dresden nicht verzeihen. Sie verrieten ja ihr Vaterland. Wirklich? Was sind wir wirklich? Unsere Erinnerungen – oder Abbild Gottes, der keine Vergangenheit kennt und keine Zukunft und keinen Besitz, der einfach nur ist? Eine Familie, die sich seit 40 Jahren um einen Acker streitet, kann nicht bei Gott sein. Denn sie gehört der Vergangenheit. Gott gehört niemandem. Sie wird hässlich. Gott aber ist schön. Gott ist lebendig. Groll und Zorn machen schwer. Gott ist nicht schwer. Und wie geht das: Verzeihen? „Wie oft muss ich vergeben?“, fragt der Apostel. „Siebenundsiebzig Mal!“ Also viele, viele Male. Immer wieder. Das Evangelium mach uns klar, dass die Vergebung nicht nur den einen großen Moment kennt, sondern auch die harte Feldarbeit. Immer wieder. Bis es wahr wird. Einen Kinderblödsinn verzeiht man leicht, die Marotte des Ehemannes auch. Aber das, was einen wirklich verletzt hat? Eine Beleidigung? Ein Betrug? Ein Erbstreit? Wann macht man Frieden? Auch mit sich selbst? Erst wenn man müde ist? Wenn alles zerschlagen ist, es nicht mehr anders geht? Das will Jesus nicht. Warum ist Jesus die Vergebung so wichtig? Weil ohne die Verzeihung das Reich Gottes nicht vorwärtskommt (s. Zustand der Welt). Vergebung meint nicht bloß Verzicht auf Rache, aufs Heimzahlen, sondern aufrichtiges Verzeihen. Das immer ein Opfer ist. Wer verzeiht, muss etwas hergeben. Sein Recht etwa. – Finden Sie heraus, was Ihnen dabei hilft. Der Gedanke ans Ende des Lebens. Oder das Wort: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Oder der noble Stolz, der sagen kann: „Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht“ (Heine). Weil der Groll vulgär ist. Finden Sie’s heraus und fangen an. Vergeben Sie, immer wieder, immer wieder. Vergeben Sie dem anderen. Vergeben Sie dem Leben. Vergeben Sie Gott. Unser Haus muss eine Festung der Versöhnung werden: Das ist der Auftrag dieser Tage, wo alle in den Krieg ziehen. Ich sage Ihnen das, und mich verlässt der Mut. Denn um zu vergeben, muss ich auf meinen Besitz verzichten: auf meine Erinnerungen, auf meinen Stolz, – denn ich muss den ersten Schritt machen. Um zu vergeben, muss ich auf mich selbst verzichten, – denn wer werde ich sein, ohne mein Recht, ohne meine Erinnerungen, ohne meinen Stolz? Ein Kind Gottes. Nicht mehr. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. 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