Montag der 23. Woche i. J., 7. September 2020
Montag der 23. Woche i. J., 7. September 2020 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes „Was ist erlaubt?“ Wenn es nicht total schief wäre, würde ich sagen: Mit dieser Frage öffnet Jesus die Büchse der Pandora. Bis dahin war alles klar. Der Sabbat ist ein heiliges Gebot. Von Gott. Am Sabbat ist dieses erlaubt und jenes verboten; es gibt klare Regeln. – Viele Menschen wünschen sich klare Regeln (meistens, um anderen Menschen zu zeigen, wo’s lang geht). Am Sabbat darf man nicht losgehen und sich heilen lassen. Auch dann nicht, wenn sich eine einmalige Chance bietet. Wer krank ist, muss es eben ertragen. Wahrscheinlich hat er es eh verdient… Sie kennen das Argument. Und dann kommt Jesus, schaut sie „alle der Reihe nach an“ und fragt: „Was ist erlaubt?“ Szenenwechsel. Ein Mann hat die Frau seines Vaters geheiratet, also seine Stiefmutter. Das war vom Gesetz verboten. Er wird ohne viel Federlesen aus der Gemeinde ausgeschlossen. „Exkommuniziert“, nennt man das. Das Argument, das der Apostel vorträgt, lässt aufhorchen: Wir wollen „diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben seines Fleisches, damit sein Geist am Tag des Herrn gerettet wird“. Natürlich hat die Pfarrgemeinde von Korinth den Mann nicht auf den Scheiterhaufen geschickt. Sie hat ihn einfach ausgeschlossen und ihm das Leben sauer gemacht. Scheiterhaufen kamen später. Wenn ich nicht irre mit genau dem Argument, das Paulus hier vorträgt. Die Worte der Bibel haben ihre eigene Geschichte… Zum Fürchten. Ich kenne die Rechtslage nicht, nur die allgemeine Stimmung heute. Ein älterer Mann, verwitwet, heiratet eine viel jüngere Frau. Das soll vorkommen. Dann stirbt er und lässt eine hübsche, junge Witwe zurück. Gäbe es heute einen Skandal, wenn diese Frau nun den längst erwachsenen Sohn ihres Mannes aus erster Ehe heiraten würde? Gibt es heute einen Skandal, wenn sich jemand scheiden lässt? Gibt es einen Skandal, wenn man Geschiedene zu sich nach Haus einlädt? Wird ein katholisches Mädchen vom Vater verstoßen, weil es sich vor der Hochzeit mit einem Mann eingelassen hat? Die meisten hier wissen, dass es das alles gab, und alle hier wissen, dass es heute völlig anders ist. Was einmal eine absolute Wahrheit war, ist es eines Tages nicht mehr. Jeder weiß das, jeder akzeptiert das, mal schwerer, mal leichter. Nur bei Homosexualität, da ist wirklich Schluss. Seltsam, oder? Womit wir wieder bei der Frage Jesu wären. „Was ist erlaubt? Am Sabbat Gutes zu tun oder Böses?“ Jeder, der die Evangelien ein wenig kennt, weiß: Jesus bringt allerhand ins Gleiten. Aber heißt das, dass er alles relativiert? Ein Mann, der sich lieber kreuzigen lässt, als seinen Gott zu verraten, lebt im Absoluten. Es gibt bei Jesus die Frage und die Behauptung, das Relative und das Absolute. Das macht es uns schwer, wohl wahr. Denn wir müssen zum Beispiel fragen: Ist das, was Jesus über die Frauen sagt (bzw. nicht sagt), absolut oder relativ? Er nahm keine Frau ins Kollegium der Apostel auf. Ist das zeitgebunden und irgendwann erledigt oder gültig für immer? „Was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein.“ Sie kennen das Wort; es wurde in den letzten Wochen gleich zweimal in der Liturgie vorgetragen. Was bedeutet es? Es bedeutet: Die Kirche ist nicht Sklavin, sondern Herrin. Die Kirche hat das souveräne Recht, in den göttlichen Dingen zu entscheiden. Dieses Recht der Kirche ist göttlichen Ursprungs. Niemals kann eine andere Macht kommen und sagen: Ich entscheide, ich fälle das Urteil. Nicht der Staat entscheidet in den göttlichen Dingen und nicht die öffentliche Meinung. Nur die Kirche. Die Kirche predigt das Wort und vermittelt die Gnade nicht nach Belieben der Leute. Sie entscheidet nicht blind, sondern weise und gerecht, wie sie Wort und Gnade verteilt, wer zugelassen wird und wer nicht. Sie hat das Recht, Bußen zu verhängen und auszuschließen. Dabei muss die Kirche beides sein: gerecht und barmherzig. Das heißt: Ein Übel ist ein Übel – Gerechtigkeit. Ein Schuldiger darf nicht geopfert werden, er muss gerettet werden – Barmherzigkeit. Unser Körper ist nicht barmherzig, nur gerecht. Wer säuft, stirbt an einer verrotteten Leber. Das ist die Gerechtigkeit des Körpers. Die Gesellschaft ist niemals barmherzig, nur gerecht. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird geächtet. Nur die Kirche kann beides: strafen und heilen. Strafe allein ist steril, die Buße aber heilt. Und noch eines weiß die Kirche: Die Wahrheit, das Dogma, das Recht ist das Eine; die Durchsetzung des Rechtes ist etwas anderes. Ein Recht darf man niemals aufgeben. Wer ein Recht aufgibt, handelt ungerecht. Aber nicht jedes Recht muss man durchsetzen. Man kann warten. Man kann sogar verzichten. Die Kirche hat das Recht, unrechtmäßig enteignete Güter zurückzufordern. Aber sie kann auf die Güter verzichten. Ich predige also die Resignation. Und habe ein gutes Argument: Wie sähen die Welt und die Kirche aus, wenn wir jedes Dogma ohne Rücksicht durchsetzen würden und gleich in Ihrer Familie anfingen? Schauen Sie auf den Staat der Taliban und Sie haben die Antwort. Wir leben im Gleiten. Absolute Sicherheit finden Sie bei den Fanatikern und in den Verschwörungstheorien. Die haben den Irrtum und die Frage abgeschafft. Sie sagen: Wenn dieser Präsident die Wahl verliert, dann mit Gewissheit nicht aus eigener Schuld, sondern weil sich die Juden gegen ihn verschworen haben. Oder wer immer. Ein offenes System geht anders: Vielleicht (!) gibt es Gruppen, die versuchen, sich zu verschwören. Vielleicht ist der Typ aber auch nur eine Blödbirne, die es einfach aus eigener Schuld vergeigt. Vielleicht. Botschaft dieses Tages: Wir müssen mit der Frage leben. Also: Was ist erlaubt? „Und er sah sie alle der Reihe nach an.“ Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören