Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Fest der Apostels Bartholomäus, 24. August 2020

24/08/2020 


Die Predigt zum Anhören

Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

„Komm, ich will dir die Braut zeigen…“ So lockt der Engel den Seher und hebt den Vorhang. Was aber bekommen wir zu sehen? Die abgezogene Haut des Apostels Bartholomäus. Michelangelo hat das Bild an die Wand der Sixtinischen Kapelle geworfen: der Apostel im Weltgericht. Ein ernster Herkules zu Füßen des Christus, den der Künstler als einen strahlenden, furchtbaren Apoll in die Mitte gesetzt hat. Doch bald findet das suchende Auge den Punkt, an dem es schaudernd festgehalten wird: Der Apostel hält seine Haut in der Hand, die ihm irgendein orientalischer König abziehen ließ, lebend. Kein Künstler verzichtet darauf, uns dieses Detail sehen zu lassen. Immerzu müssen wir sehen und sehen und sehen.

„Jesus sah Natanael auf sich zukommen / und sagte über ihn: ‚Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit.‘“ Jesus sah. Und dann sagt Jesus dem Schriftgelehrten, den die Kirche mit dem Apostel Bartholomäus gleichsetzt: „Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.“ Da glaubt Natanael. „Du bist der Sohn Gottes!“ Das heutige Evangelium, in dem sechs Mal vom Sehen die Rede ist, endet mit dieser Ankündigung: „Ihr werdet den Himmel offen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.“ Das Ende der Geschichte.

Zwei Menschen sehen sich an. Was sieht Jesus? Sieht er schon jetzt den Tod des Apostels? Weiß Jesus die ganze Zeit über, wie dieser Mann enden wird? Weiß Gott die ganze Zeit über, wie ich enden werden und Sie? Der Seher auf Patmos schaut die himmlische Kirche, die leuchtet wie ein kristallklarer Edelstein. Aber wir? Wir schauen Folter und Grauen, die Haut des Apostels, und die Bilder lassen uns nicht mehr los.

Von welchen Bildern lebt unser Glaube? Welche Bilder haben Sie aus Ihrer Kindheit mitgebracht in diese kleine Kirche?

Wir wissen fast nichts von Bartholomäus. Sein Name wird nur an wenigen Stellen der Evangelien genannt; wir hören ihn nur selten sprechen und dann, nach der Auferstehung und Sendung, verschwindet er aus unserem Blick wie die meisten anderen Apostel. Es gibt nichts zu sehen. Das ist für Menschen kaum auszuhalten, und so beginnt die Fantasie ihr Werk. Es kommen die Gelehrten, die Erzähler und die Maler und füllen die Leere. Braucht der Glaube das? Kennen Sie nicht auch die Schönheit des Leeren und der Stille?

Ein Schriftgelehrter sei der Apostel gewesen, mutmaßen sie. Oder der Bräutigam aus Kana. Die Spuren verwischen, und ein Bild legt sich über das andere. Wohin ging dieser Apostel? Mit wem? Von Indien ist die Rede. Oder Persien. Oder Mesopotamien und Armenien. Sein Grab wird in Rom verehrt; seine Schädeldecke im Kaiserdom der Stadt Frankfurt am Main; andere Reliquien im bayerischen Andechs und in Canterbury. Es ist die Rede von Sarazenen und Kaisern und auch von der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572, als Paris die Protestanten hinschlachtete, jene Bartholomäus-Nacht, die die Kirche wie eine schwere, dunkle Kette der Schuld hinter sich herziehen muss bis ans Ende der Zeit. Die Bauern, die am Bartholomäus-Tag ihre Regeln festmachen, wollen von all dem nichts wissen. Auch die Winzer nicht und nicht die Schäfer, Gerber, Sattler, Schuhmacher, Metzger, Buchbinder, alle, die mit Häuten arbeiten. Und die, die den Apostel anrufen um Hilfe bei Hautkrankheiten. Sie brauchen nur Hilfe, mehr interessiert sie nicht. Ihr Leben ist schon so hart genug, ihr Herz vielleicht auch. Wie die meisten Herzen. Vielleicht haben wir längst zu viel gesehen. Vielleicht heißt der Auftrag dieses Festes: Sieh nicht hin! Schließe die Augen.

Natürlich müssen wir sehen können. Ohne die Augen wird das Leben schwer. Natürlich dürfen wir sehen, die nicht enden könnende Schönheit dieser Welt. Natürlich blicken zwei Menschen sich an. Und dann sind da noch die Propheten, denen Bilder gezeigt werden, die sie nicht verstehen und die diese Welt weit machen und rätselhaft.

Und dennoch: Was wir an diesem Fest sehen, was unseren Blick bannt, ist gerade das, was nicht wichtig ist. Nicht die Folter ist wichtig, sondern die Nachfolge. Nicht der Schutzpatron, sondern der Apostel. Nicht der Schauder und das Gefühl sind wichtig, sondern der Glaube.

Ihnen muss doch auch auffallen, dass es von den Aposteln nichts zu sehen gibt. Ein Name, zwei, drei Sätze, die sie erwähnen, mehr nicht. So ist die Kirche. Dieses Verschwinden ist kein Zufall. Auch von Jesus keine Schrift, kein Brief, erst recht kein Bild. Aber vom Pater Wallner, von Papst Franziskus und von Kim Kardashian sehr viele Bilder. Müssen wir sehen, um zu glauben? Müssen wir so viel sehen?

Ich achte darauf, dass hier in der Malteserkirche alles einfach ist und schön. Die Gesten sollen immer gleich sein. Damit Sie nicht des Sehens wegen kommen, sondern des Unsichtbaren wegen (s. „The Young Pope“). – Wer betet, sieht nicht. Wer den Armen und Kranken hilft, sieht wohl, aber nur die Armen und Kranken, mehr nicht. Wer schon beim Helfen auf die Anerkennung schielt, hilft schlecht. Wer die Sakramente feiert, sieht, aber nur das, was ihm belanglos erscheint: Wasser, Brot, Wein, Öl. Nichts Sehenswertes. Wer glaubt, sieht nicht. Er wird sehen, dort.

Jesus verkündet eine Botschaft, die er nicht selbst ausgedacht hat. Er ist das Wort eines anderen. Er ist der Gesandte. Er hat nichts Eigenes für sich, nichts Zusätzliches neben dem Vater. Er ist ganz eins mit dem Vater. Reine Transparenz. Nichts zu sehen. Auf dem „großen, hohen Berg“ der Verklärung erscheint Jesus so, dass die Apostel ihn nicht mehr sehen können: reiner Glanz, nichts mehr als Licht.

„Du wirst noch Größeres sehen“, sagt Jesus zu Bartholomäus.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

Die Predigt zum Download finden Sie hier!

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