Fest der hl. Maria Goretti, 6. Juli 2020
Fest der hl. Maria Goretti, 6. Juli 2020 Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Hl. Geistes Dort oben haben wir eine Reliquie der hl. Maria Goretti. Heute, am 6. Juli, ist der Festtag der Heiligen. Dieser Splitter in der goldenen Monstranz hat den Moment miterlebt, als das elfjährige Mädchen angegriffen und niedergestochen wurde, von einem gierigen jungen Mann. Die winzige Reliquie war zugegen, als sie rief: „Nein!“ Und auch, als sie auf dem Sterbebett gefragt wurde: „Verzeihst du deinem Mörder?“ (Nur Priester können es wagen, so zu fragen.) Das Mädchen antwortete: „Ja. Um Jesu willen, ja! Ich verzeihe ihm und will ihn bei mir haben im Paradies!“ – So etwas lernt man nicht in der Schule, sondern im Gebet und im echten Glauben. Am 24. Juni 1950, dem Festtag Johannes des Täufers, wurde Maria Goretti von Papst Pius XII. heiliggesprochen. Eine halbe Million Menschen waren auf dem Petersplatz versammelt, auch ihre Mutter und ihr reuevoller Mörder. Die Mutter, eine ganz einfache Bäuerin, hatte dem Mörder ihrer Tochter verziehen. – „Ich will ihn bei mir haben im Paradies!“ Habe ich je so verziehen, dass ich es nicht nur gut sein ließ, sondern den, der mir Unrecht tat, in meine Nähe wünschte, für immer? Der 6. Juli ist ein verstörender Festtag in vieler, vieler Hinsicht. Immer wieder braucht es echte Mühe, die Feste unserer Kirche zu feiern, Gedanken-Mühe, Herzensmühe. Das Fest der hl. Maria Goretti gehört zu den sogenannten nicht-gebotenen Festtagen. Manche Heilige muss man feiern, weil sie von universaler Bedeutung sind, andere Heilige, die meisten, kann man feiern. Wir feiern um dieser Reliquie willen; ich gehorche der Geschichte dieser kleinen Kirche. Ich gehorche und lasse die Verstörung hinter mir, Schritt für Schritt. Darf man das Opfer fragen, vielleicht sogar bedrängen, dem Täter zu vergeben? „Vergibst du?“, haben Sie das schon einmal jemanden gefragt? Dürfte man die Frauen so fragen, die heute gegen Männer angehen, die ihnen Gewalt antaten? „Vergibst du?“ Darf man ein elfjähriges Kind vereinnahmen für die Mission der Kirche? Maria Goretti wurde in den 50er-Jahren bewusst zur Werbe-Ikone für Reinheit und Familie gemacht. Doch lange vor dem Zugriff des kirchlichen Apparates hat das einfache Volk Maria Goretti verehrt. M. a. W. vor allem die Frauen. Sie verehrten ein Mädchen, das nein gesagt hatte. „Um Jesu willen.“ Sie entscheidet. Das elfjährige Mädchen ist frei. Ihr Mörder gehört seinen viehischen Trieben. Die Freiheit Maria Gorettis: Das verstehen auch die Frauen und Mädchen, denen der Begriff der Reinheit ganz fremd geworden ist. Das Fest ist lebendig in dem Sinn, dass es sich mit der Zeit entwickelt. Ich kann mich erinnern an die Epoche nach dem Konzil, als man anfing, sich für die 50er-Jahre, für Pius XII., für den Kult der Reinheit und Jungfräulichkeit zu schämen. Als irgendwie die heimliche Erwartung in der Luft lag, Maria hätte doch nachgeben sollen, um zu überleben. Das Leben sei doch wichtiger als die Jungfräulichkeit. Heute ist allen klar, dass der Rat nachzugeben und stillzuhalten sehr viel zu tun hat mit den Wünschen der Männer-Welt und nicht mit den betroffenen Frauen. – Die Feste der Kirche leuchten immer, aber die Farben wechseln. Die Kirche ist lebendig, wie auch die Welt lebendig ist; es gibt nicht nur eine einzige, für immer gültige Deutung… Nicht nur die Geschichte des Festes verstört mich, auch seine Entstehung selbst, das Geschehen des 6. Juli 1902. Das Milieu der armen Bauernkinder treffe ich noch, wenn ich den Lebenslauf derer studiere, die ich draußen in Mailberg beerdigen muss. Da ist sie auch, immer und immer wieder, die dürftige Schulbildung, die harte Arbeit von Kindheit an, die Armut. Was im Weinviertel vielleicht fehlt, anders als im ländlichen Italien um 1900, ist die sehr einfache, echte Frömmigkeit. Bei Maria Goretti entdecke ich eine Frömmigkeit, die über den schlichtesten Katechismus wohl nicht hinaus konnte, die die Tiefe der Hl. Messe und die Größe des Evangeliums nie in Worte hätte fassen können, die aber im entscheidenden Augenblick ganz genau wusste, was das Richtige war. Das Richtige: „Nein!“ – Das Richtige: „Ich vergebe!“ Nein um Jesu willen. Verzeihung um Jesu willen. Glaube nicht angelernte Konvention. In den wenigen Stunden des Sterbens der Maria Goretti liegen Mut und Treue,  Klarheit, Freiheit, Reinheit; der Sinn für das Richtige, den das christliche Gewissen gibt; Selbst-Beherrschung gegen blinde Gewalt; Selbstbestimmung gegen Bestimmung durch den körperlich Stärkeren; Selbstbestimmung, deren höchster Akt die Vergebung ist. Das Tagesgebet vom Fest der Heiligen überbietet meine eigene Wahrnehmung noch einmal. Es spricht von Gott, der „Quelle der Unschuld“. Würden wir Gott so nennen? Es spricht von Vollendung, vom „Adel der Keuschheit“, vom „Kampf um die Reinheit“, von Martyrium, von Treue und Festigkeit und von der Fürsprache der Heiligen. Gedanken, die Ihnen niemand da draußen anbietet… Wir sind, es geht nicht anders, Schüler der Zeit, in der wir leben. Wir sind gewohnt, auf eine bestimmte Weise zu denken und zu entscheiden. Noch einmal werden unsere angelernten Ideen zertreten vom Wort der Hl. Schrift. „Der Leib ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn… Ihr gehört nicht euch selbst.“  – Hier wird klar, um welche Art der Selbstbestimmung es bei Maria Goretti geht (und bei uns gehen soll): nicht um die Selbstbestimmung des Egos, sondern um die des Gehorsams. Weil sie weiß, dass sie Christus gehört, entscheidet Maria Goretti frei und selbstbestimmt. Das ist viel kühner als „mein Bauch gehört mir!“. Das Evangelium ordnet Marias Entscheidung und Schicksal der Nachfolge zu. Wo genau ist hier die Nachfolge? Im Leiden? Ist das Leiden der Grund für Maria Heiligkeit? Oder das Wissen, einem anderen zu gehören, einem Größeren, Besseren? Oder ist die Nachfolge in der Vergebung? Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören