23. Sonntag im Jahreskreis (B), 5./6. September 2015
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes
„Pack!“ – Das kann man sagen, wenn man die Bilder der Flüchtlinge sieht (Calais). Man kann auch auf Flüchtlingskinder urinieren. In Berlin ging das, dieser Tage in der S-Bahn. Ein Mitglied der „Herrenrasse“ (das war tatsächlich das Argument!). Man kann auch auf facebook (sind hier viele, die finden, man müsse unbedingt bei facebook sein?) – man kann auch auf facebook posten: „Ich würde draufhalten! Die haben da nix zu suchen, da haben sie halt Pech.“ Gepostet von einer Deutschen. Sie spricht von den Flüchtlingen am Rand der Autobahn.
„Die armen Menschen!“ – Das kann man auch sagen, wenn man die Bilder sieht. Und anfangen zu helfen (so wie die Malteser 1956 angefangen haben zu helfen).
„Die Auserwählten!“ – Das sagt die Heilige Schrift. „Hat Gott nicht die Armen dieser Welt auserwählt?“ Die Armen sind die Auserwählten Gottes.
Die aktuelle Situation macht uns klar, dass jeder Christ in einer Widerstandsbewegung steht. Wir hätten es aber längst wissen können. Es hätte genügt, auf das Wort Gottes zu hören. Woher kommt die unfassbare Verdrängung bei uns?
Da steht es, in diesem Buch, von dem wir glauben, dass es vom Heiligen Geist inspiriert ist: „Hat Gott nicht die Armen dieser Welt auserwählt?“ Aber wir wählen lieber selbst aus. Unser Leben ist ein ganzes System von Auswahlen, die wir ohne Gott treffen. „Das ist comme il faut, das nicht. Der gehört dazu, die nicht…“
Da steht es, in diesem Buch, das, Auftrag der Kirche, jeder Getaufte meditieren soll: „Wenn in eure Kirchen einer mit prächtiger Kleidung kommt… macht Ihr dann nicht Unterschiede?“ Natürlich machen wir Unterschiede. Jeder Festgottesdienst beweist das. Das Bestürzende daran: Wir tun es mit bestem Gewissen. Das Wort des Apostels gilt einfach nichts bei uns; es säht noch nicht einmal einen Zweifel.
Das wäre das Allererste: dem Wort Gottes wirklich zu begegnen. Glaube, das ist nicht eine Liste von Behauptungen; Glaube ist, wenn ein Mensch wirklich auf das Wort Gottes trifft. Aus dieser Begegnung sind die großen Kulturen entstanden; die große Bewegungen der Menschheit; die Fähigkeit, die Welt zu gestalten. Genau das, was wir jetzt brauchen.
Wer sind nun „die Armen“? Das sind nicht einfach die, die kein Geld haben. Papst Franziskus oder der Dalai Lama mögen arm leben, aber sie sind keine „Armen“. Die wirklichen Armen, das sind die Verachteten. Ein armer Mönch (noch dazu einer aus gutem Haus) wird nicht verachtet. Die Armen sind die, an die man seine Kinder nicht verheiraten möchte; die, die man im Restaurant nicht am Nebentisch haben möchte. Doch Gott hat die Armen dieser Welt auserwählt.
Die Armen, das sind die, die die Leute verachten (vielleicht auf sehr diskrete, zivilisierte Weise) – und die Gott auserwählt hat. Aber das interessiert keinen. Auch die Armen selbst nicht. Warum kommen die Flüchtlinge? Viele einfach um das Leben ihrer Kinder zu retten. Viele andere, weil sie endlich auch reich sein wollen. Jeder will reich sein und Zeichen des Reichtums geben können. So ein Zeichen, das ist für den 20-jährigen Türken der glänzende Audi; für einen anderen ein Paar Maßschuhe; für die dritte ein eigenes Haus. Alles das bringt Achtung ein. Reich sein, heißt geachtet werden.
„Hat Gott nicht die Armen dieser Welt auserwählt?“ Da ist sie doch, die Achtung. Warum will die keiner? Sie ahnen: Hinter alldem steht ein Glaubensproblem. Wer von Menschen unbedingt geachtet werden will, sich aber um die Achtung Gottes nicht bemüht, der ist einfach: kleingläubig.
Und so ist die Flüchtlingskrise auch eine Glaubenskrise. Das Erste, Einfachste und Bibeltreueste wäre die Achtung für diese Menschen. Man könnte auch sagen: Ehrerbietung. Oder „Mitgefühl und Respekt“, wie es unser Kardinal fordert. Damit setzen wir dieser schauerlichen Welt wirklich etwas entgegen.
Keiner muss die Situation erfreulich finden; jeder darf sagen, dass sie ihm Angst und Sorgen macht. Aber Mitgefühl und Respekt muss jeder Christ aufbringen. Denn wir stehen im Kampf gegen die Ungläubigen, die auf facebook oder auf den Straßen oder in der U-Bahn lärmen. Und manchmal sogar am selben Tisch, neben uns.
„Hat Gott nicht die Armen dieser Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich zu machen und zu Erben des Reiches?“ Jakobus gibt die Dimension an, in der wir uns bewegen. Das Christentum will nicht bloß gesellschaftlicher Schwierigkeiten lösen. Die Kirche will den einzelnen Menschen in die Gegenwart des lebendigen Gottes führen.
„Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht da, euer Gott. Er selbst wird kommen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des Stummen jubelt.“ So heißt es in der Ersten Lesung. Das schildert doch nicht nur ein Ereignis am Ende der Geschichte. Es ist klare Lehre Jesu, dass das Reich Gottes „mitten unter uns ist“. Und das heißt: Wir sind involviert. Wir sitzen nicht wie die Wellensittiche auf der Stange und warten, dass Gott was tut.
Gott tut durch uns etwas. Denn wir sind Teil seiner Schöpfung. Durch uns treten Menschen in die Gegenwart des lebendigen Gottes. Und außer sich vor Staunen werden sie sagen: „Er hat alles gut gemacht.“
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