Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

Aktuelles

Fest des hl. Klemens von Rom, 23. November 2020

23/11/2020 


Die Predigt zum Anhören

Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

„Seid nicht Beherrscher, sondern Vorbilder!“ Galt am Anfang, gilt heute, ist selbstverständlich. Wer wollte das Gegenteil sagen? – „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes!“ Dieser Glaube entscheidet am Anfang der Kirche und er entscheidet heute: darüber, wer Christ ist und wer nicht. – „Du bist Petrus, der Fels.“ Dieses Wort begründet die Autorität des Papstes bis heute. Bestätigung für die Katholiken, Irritation für die Protestanten. Damit wäre alles gesagt zu beiden Lesungen. Verhaltenskodex, Glaubensartikel, Struktur der Macht: alles klar.

Eine Frage hätte ich aber noch. Was begründet die Autorität außer den Worten des Herrn und seines Apostels? Die Geschichte. Geschichte, das sind Dauer, Taten, Menschen, Sie und ich. Ein Wort, das nicht lebendig wird in vielen Menschen, ein Wort, das nicht geglaubt wird, bleibt eben nur ein Wort. Ein Laut.

Wir sind die Geschichte. Jeder von uns ist uralt und ganz jung. Alt durch die Erfahrung, jung durch die Gnade. Diese Kirche hier ist der Ort der Erfahrungen und der Ort der Gnade.

In Rom, nicht weit vom Kolosseum, steht die Kirche des hl. Klemens. Wahrscheinlich hat sie sich in vielen, vielen Schritten entwickelt aus einem Wohnhaus der frühen Kaiserzeit, d. h. des ersten Jahrhunderts nach Christus. Im dritten Jahrhundert wurde dort die rätselhafte Gestalt des Mithras verehrt; dann entstand eine frühchristliche Basilika, dann über dieser die heutige Kirche des Mittelalters. Mit einem Wort: Schichten. Die Geschichte, das sind Ablagerungen, Fundamente, Schichten. Was aber hier noch Archäologie ist, wird in nur einem Schritt zum Leben, in nur einem Menschen. Dieser Mensch bin ich selbst. Vor vielen, vielen Jahren betrat ich eines Tages, es war noch vor Mittag, jene Kirche des hl. Klemens. Es waren nur wenige Menschen da, ich wusste nicht viel. Nur: Hier ist das früheste Christentum; so sahen die Kirchen damals aus. Plötzlich flog die Türe auf, und ein junger Mönch stürmte herein, im weiß-schwarzen Kleid der Dominikaner, mit roten Haaren und dem Gesicht eines irischen Seemanns. San Clemente gehört seit dem 17. Jahrhundert den irischen Dominikanern. Er sprach mich an und Jahre später, Begegnungen später, war ich selbst Dominikaner, und der Pater Christoph Schönborn war einer meiner Oberen. Und wieder Jahre später war er Erzbischof von Wien und rief mich in die Malteserkirche. Schichten. Vom Haus der Familie des hl. Klemens geht es durch viele, viele Schichten hindurch bis hierher an diesen Altar. Jeder von Ihnen könnte ähnlich erzählen. Keinen von Ihnen habe ich hierher gerufen; jede, jeder wurde hierhergeführt, irgendwie. Wenn Sie wollen, sagen Sie: von Gott. Werden wir wirklich geführt? Ich ahne, aber ich weiß nicht. Ich weiß nur: Diese Kirche, Sie, ich: Hier vor diesem Altar wird alles eine Geschichte. Die weitergeht.

Die Geschichte ist nicht der säuberlich geschriebene Lebenslauf. Die Geschichte, das sind viele; das ist Unordnung und Ordnung; das sind unsere Vorfahren. Sie sitzen in unseren Zellen. Vielleicht lächeln Sie oder gehen Sie wie einer vor Ihnen, einer im 18. Jahrhundert, von dem man nichts mehr weiß als den Namen. Geschichte, das sind Entscheidungen, Begegnungen, Anekdoten, Gesten, Namen. Geschichte ist Zerstreuung in alle Winde und Sammlung. Verknüpfung. Dieser Tag verknüpft uns mit dem hl. Klemens. Er starb in Rom oder auf der Krim als Märtyrer, keiner weiß es mehr genau. Die späte Legende erzählt, sie hätten ihn an einen Anker gefesselt und ins Meer geworfen, weil er ein Wunder gewirkt hatte, dort in den Steinbrüchen, wo die Christen Zwangsarbeit tun mussten und vor Durst schier umkamen. Klemens weckte eine Quelle frischen Wassers und wurde dafür ersäuft.

Er wird – unter dem mürrischen Blick der wahren Kirchenhistoriker – zu den ersten Päpsten gezählt. Er hatte die Apostel noch gekannt, vielleicht Paulus gehört. Barnabas habe ihn bekehrt und zu Petrus geführt, heißt es. Vielleicht stammte er aus dem Kreis hoher römischer Würdenträger. Er lebte, als die Christen verfolgt wurden. Ein Brief, den er verfasst hat, ist auf uns gekommen. Er zeigt, wie Rom versucht, Wirren in der Gemeinde von Korinth zu klären: das früheste Zeugnis für die besondere Stellung Roms in der Weltkirche.

Klemens ist der Schutzpatron der Krim und Sevillas, denn am Tag des hl. Klemens wurde die Stadt von den Mauren zurückerobert. Er ist der Schützer der Seeleute, Hutmacher, Bergleute, Steinmetze und der Kinder, bei Sturm und Gewitter und gegen Wassergefahr. Es verehren ihn die katholische Kirche und die Protestanten, die Anglikaner, die Orthodoxen und die Armenier.

Geschichte, das sind nicht Daten und nicht Bauwerke, das sind Menschen. Geschichte ist mehr als die Augenlust vor der Pracht eines Stiftes, mehr als die Rührung durch Anekdoten und Souvenirs. Geschichte ist Ihre Aufgabe. Geschichte bedeutet für Sie: Sie sind nicht allein und Sie sind nicht machtlos. Sie stehen zwischen der Achtung für das Gewordene und der Gestaltung des Zukünftigen. Ihre Entscheidung, heute hierher zu kommen, bedeutet in Wahrheit genau dies. Sie müssen nicht bei Null beginnen; Sie führen etwas Großes fort. Auch Sie sind Hirten. Auch Ihnen ist eine Herde anvertraut: die Herde künftiger Christen.

Kirche ist Geschichte. Es liegt also alles daran, die Menschen zu erkennen und die Menschen zusammenzuführen. Heute Sie mit dem hl. Klemens.

„Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Sie sind Fleisch und Blut und Heiliger Geist. Sie sind Kirche.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

Die Predigt zum Download finden Sie hier!

Souveräner Malteser-Ritter-Orden

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