Weihetag der Lateranbasilika, 9. November 2020 (06)
Weihetag der Lateranbasilika, 9. November 2020 (06) Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes Wozu wurden die Kathedralen und Dome gebaut? Weil die Gemeinde einen Versammlungsort braucht, sagen die Pastoraltheolog*innen. Die Historiker: Weil der König, Bischof, Bürgermeister es den anderen zeigen wollte. Wir sind besser. Reicher. Eine Kirche gibt es, um Gott zu feiern. Die Kathedrale ist kein Versammlungsort, keine Attraktion, kein Kunstwerk. Sie ist das, was um den Altar ist. Auf dem Altar selbst steht der Kelch und über dem Kelch die Hostie. Wer aber das Allerheiligste anschaut, sieht: nichts. Was sehen Sie, wenn Sie vor der Monstranz knien? Zuerst nur Gold, Ornamente, Zierde. Dann aber, ganz in der Mitte: eine weiße Fläche. Nichts. Sie wissen: Es ist Brot. Sie glauben: Es ist der Herr. Sie sehen: nichts. Begonnen hat alles mit ein paar Frauen und Männern, die Jesus begegnet waren. Dann breitete sich die Kirche aus: zuerst in Jerusalem, dann in den Städten des Orients, dann in Rom. Sie verbreitete sich still, unauffällig. Dann wurden die Mächte aufmerksam: der Staat, die öffentliche Meinung, die Leute. Die Gegner der Kirche. 300 Jahre lang wurden die Christen verfolgt. Sie mussten unsichtbar bleiben, drunten in den Katakomben. Dann verstanden die Herrscher: Es ist unmöglich, die Kirche zu besiegen, denn die Kirche ist nicht von dieser Welt. Der Kaiser Konstantin baute den Christen die erste Kathedrale: die Lateranbasilika in Rom. Jeder konnte sie sehen. „Haupt und Mutter aller Kirchen des Erdkreises“ wird sie genannt. Alle Katholiken der Welt feiern heute die Weihe dieser Kirche in Rom. Mit ihr war die Kirche in der Welt des Sichtbaren angekommen. Begonnen hatte sie in einer Provinzstadt der Juden, als Gott Mensch wurde in Bethlehem. Als Gott also sichtbar wurde, öffentlich, ein Körper. Weil es die Menschwerdung Gottes gibt, ist die Kirche sichtbar: in den Sakramenten, die sichtbare Zeichen der Gnade sind; in den Kathedralen und Kapellen, die sichtbare Häuser Gottes sind. Damit aber steht die Kirche im Weg, zwischen Gott und den Menschen. Viele sehen die Kirche so: als Hindernis. Haben wir nicht direkten Zugang zu Gott? Warum soll ich einem Priester meine Sünden beichten? Ich mache das mit meinem Herrgott aus. Die Kirche muss mir nicht sagen, was richtig und was falsch ist, ich höre auf mein Gewissen. Der sichtbare Jesus zeigt uns Gott, Er allein: Das ist der Kern des gesamten Evangeliums. Deswegen die Kirche, deswegen Sichtbarkeit, Vermittlung, Stellvertretung, Zeichen. Jesus tauft; er hört uns beichten und vergibt uns; er feiert mit uns die Eucharistie. Sichtbar aber ist der Priester. Den wir leiden mögen oder nicht; der ein Heiliger ist oder ein Halunke. Sichtbar ist der Altar, der eine Ansammlung von Steinen ist und gleichzeitig das Bild für Christus selbst. Sichtbar ist die Kirche, die ein von Menschen gebautes Haus ist und gleichzeitig Tempel des Heiligen Geistes. Die Kirche aber wird niedergerissen. – „Reißt diesen Tempel nieder!“ Denn die Sichtbarkeit ist der Weg, das Ziel aber ist das Unsichtbare: das Reich Gottes. Bis vor einem halben Jahr ging die Kirche ganz im Sehen auf, im einander Hören, im Beisammensein. Diese Kirche weg. Die Seuche nimmt uns die Sichtbarkeit. Über Wochen und Monate hin, vielleicht auch zu Weihnachten, werden wir einander nicht sehen können, denn wir müssen Masken tragen und uns fern rücken. Was wir auf den Bildschirmen sehen, ist nicht die sichtbare Kirche, das sind nur Bilder. Sie sind irritiert, Sie leiden, Sie haben Angst; Sie sind nicht darauf vorbereitet, ganz geistig zu sein. Wir können es auch gar nicht, denn wir sind keine Engel. Die Engel sind reine Geistwesen, wir sind Menschen: Leib und Seele. Wir sind sichtbar und unsichtbar, beides. Vielleicht ist jetzt die Zeit, mehr Seele zu sein als Leib. Lernen Sie das. Reißen Sie den Tempel nieder. – Wenn der Tempel der Gewohnheiten und Sicherheiten niedergerissen ist, ist Gott doch nicht weg! Ist Gott weg, wenn Sie die Kommunion statt auf die Zunge in die Hand empfangen? Nein, weg ist nur ein schöner Brauch. Die alte Kirche, die Kirchenväter sprechen nicht von der Mundkommunion; sie ist kein Gebot des Evangeliums. Es gab sie jahrhundertelang nicht, dann gab es nur sie, dann gab es beide nebeneinander, die Mund- und die Handkommunion, jetzt, für eine Zeit, darf es nur die Handkommunion geben. Sie ist eine wunderschöne Geste der Hingabe und der Andacht, aber sie ist kein heiliges Dogma des Glaubens. Ihr Gewissen sagt Ihnen: Mundkommnion oder gar nichts! Wirklich? Wissen Sie, was das Gewissen ist? Das Gewissen ist die Stimme Gottes in uns. Sagt Ihnen Gott: Du darfst die Kommunion nur so empfangen? Oder sagt Ihnen Gott: Bring geistige Opfer dar, gib, was Dir lieb und teuer ist, gib die Bräuche, die Lieder, die Kathedralen? Ich kann Ihnen die Antwort nicht geben. Das ist eine Geschichte zwischen Ihnen und Gott. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Sichtbare vergeht und mit ihm das, was wir liebgewonnen haben, was wir kennen. Alles vergeht, Gott aber bleibt. Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors. Die Predigt zum Download finden Sie hier!Die Predigt zum Anhören