Zweiter Adventsonntag, 4. Dezember 2016
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes
„Am Ende der Tage“, hieß es letzten Sonntag. Heute heißt es: „an jenem Tag.“ Und gleich noch einmal: „an jenem Tag.“ Die Zukunft also. Aber was löst das aus? Was ist das? Vertröstung? Oder Hoffnung? Ganz sicher sind es Prophezeiungen. Isaias und Johannes, in der Lesung und im Evangelium, sind Propheten. Sie verkünden, was kommen wird, in Visionen, in Träumen… Und wir hier stecken mitten im echten Leben.
Beides, Vision und Alltag, passt gut zusammen. Genau die richtige Mischung. Wer im Morast der Realität steckt, braucht jemanden, der ihm den Kopf zurückreisst: damit der Blick wieder nach oben geht. Nach draußen. Damit wir nicht nur links und recht schauen.
Heute ist der Tag der Entscheidung. Das Land muss die Wahl treffen zwischen dem einen und dem anderen. Als Bürger stehen die Katholiken mit allen anderen auf dem öffentlichen Platz; neben unseren Mitbürgern stehen wir zwischen dem einem und dem anderen. Aber gerade an solchen Tagen ist es wichtig, das andere zu sehen. Wir können nämlich etwas ganz Neues in die Diskussionen tragen. Weil wir sehen: Die Kirche steht nicht neben den Parteien; sie schaut nicht hierhin und dorthin, um zu sehen, wer besser zu ihr passt. Die Kirche steht über den Parteien. Ein Bischof ist kein Minister; er ist der Nachfolger der Apostel. Der Papst ist kein Staatsmann neben den anderen. Ein Christ ist nicht nur Wähler. Und Christus ist der Herr der Welt. Dass das anmaßend klingen kann, stört mich nicht. Dass Sie es als Fantasterei, als unrealistisches Gerede abtun könnten, das ist mir unerträglich. Denn sehen Sie: Wenn wir den Geist der Propheten haben wollen, können wir es nicht einfach bei den guten Werken belassen; oder bei politischen Debatten oder Kirchenmusik oder Organisation des Pfarrgemeinderates. Es geht weiter! Höher! „Der, der nach mir kommt“, ruft der Täufer und lenkt den Blick auf Christus: allein der Heilige, allein der Herr, allein der Höchste. Immer wieder, die ganze Geschichte der Kirche hindurch, geht es darum, den gewohnten Platz zu verlassen, den Blick zu heben, sich einem Anspruch zu stellen.
„An jenem Tag (!) wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der da steht als Zeichen für die Nationen.“ – Isai war der Vater des Königs David. Das Königtum wird fortleben: Christus wird kommen. „Der da steht als Zeichen für die Nationen.“ Der Anspruch Jesu. Wie viel Kraft! Mit der Kraft Christi können wir Katholiken vieles ertragen und noch mehr verändern. In dieser Zeit, wo die politische Macht jeden Glanz verloren hat, haben wir vielleicht eher Sinn für die neue Herrschergestalt. Für einen Messias, der allein von Gott her kommt. Für den idealen König, der Gott und den Menschen verbunden ist. Für eine menschliche Gesellschaft, die gerecht ist.
Paulus mahnt seine Leute in der Lesung: „Nehmt einander an.“ Es gibt Starke und es gibt Schwache, aber seid einmütig. Die Kirche ist weit, aber sie darf nicht uneins sein.
Der moralische Appell allein trägt aber nicht weit; Sie merken es selbst in Ihren Diskussionen und Streiten. Es braucht eine Kraftquelle hinter der guten Absicht. Mit gutem Willen allein hat die Kirche nicht 2000 Jahre lang der Welt gegenüber gestanden. Unser Beitrag zur Gestaltung dieser Welt ist doch mehr als der gute Wille braver Leute! Der Beitrag der Katholiken zum politischen Leben ist doch mehr als die Entscheidung für einen Kandidaten! Das wäre Realpolitik, aber nicht Hoffnung und Glauben. Hoffnung und Glaube aber sind Gaben des Heiligen Geistes.
Dabei sind gläubige Hoffnung und reelle Politik keine unvereinbaren Gegensätze. Die Vision des Isaias spricht vom Geist der Weisheit und der Einsicht, dem Geist des Rates, der Stärke und der Gottesfurcht. Solchen Geist gibt es; das ist nun wirklich keine ferne Utopie! Da geht es um Entscheidungen, um Einsehen, Wollen, Lernen. Alles machbar. Diesen Geist hat jeder Gefirmte bekommen. Gefirmt sein bedeutet: innerlich mit dem Geist Christi verbunden sein. Wenn die Getauften leiden, teilen sie also das Leiden Christi. Wenn Sie beten, beten Sie mit Christus. Wenn Sie etwas gut machen, heilen Sie durch ihn. Und Sie herrschen mit Christus. Der Christ, die Christin, das sind die neuen Herrschergestalten. Denn die Getauften haben teil an Christus, der ihnen „seine Kraft geben wird bis ans Ende“ (1 Kor 8). Herrschen heißt nicht zuerst „herrschen über“; es geht nicht um „oben“ und „unten“. Herrschen heißt: Verantwortung tragen und gestalten. Herrschen ist das Gegenteil von mitmachen und mitlaufen.
Erkenntnis, Rat, Gottesfurcht… Diese Gaben werden uns geschenkt durch Christus (s. Hochgebet) – und das nicht zu unserer privaten Zierde, sondern zur Weltgestaltung. Sie können nicht die Propheten hören und meinen, alles könne beim Alten bleiben, Veränderung sei unmöglich, Umkehr unnötig. Johannes kündigt einen an, der radikale Veränderung bringt und das Gericht: Christus.
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