Karfreitag 2016 – Königtum II –
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes
„I. N. R. I. – Jesus Nazarenus Rex Iudaeorum.“ Das steht auf einer Tafel oben am Kreuz. „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Die jüdischen Autoritäten sind nicht einverstanden. Die Römer sollen schreiben „der gesagt hat, er sei der König der Juden“ (Joh; Mt). Der Statthalter lehnt das ab. „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. Punkt.“ Pilatus hat die Wahrheit geschrieben, ohne an die Wahrheit zu glauben. Diese missverständliche, umstrittene, kleine hölzerne Tafel oben an der Spitze des Kreuzes sagt – wider Willen – die Wahrheit: Jesus ist König. Ist die Wahrheit wirklich das, nur das, was wir sehen? Der Karfreitag stellt auch diese Frage.
Irgendwann hatte Jesus gesagt: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Jetzt ist das wahr geworden. Die Gegner meinen, sie seien fertig mit ihm; die Passanten halten ihn für irgendeinen zum Tod verurteilten, wie es damals viele gab.
Ist der, der meint, er sei am Ende, wirklich am Ende? Ist der, von dem keiner mehr etwas erwartet, den keiner mehr ernst nimmt, wirklich das, was alle denken? Wer sind die Alten und die Schwachen wirklich? Und die Kranken, die Fliehenden, die Sterbenden, die Verachteten: Was ist ihre Wahrheit?
In Wahrheit ist der Gekreuzigte der königliche Sieger. Am Kreuz ist die Macht Jesu auf dem Höhepunkt – und sie ruft die Macht Gottes, der ihn auferwecken wird von den Toten. Das Opfer wird nicht für immer von den Tätern gedemütigt. Gott ermächtigt das Opfer. Die Hoffnung ist keine Illusion, sondern eine Erfahrung: Das ist die Einsicht von Ostern. Nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern Gott. Wer glaubt, kann dieses Geheimnis spüren.
Sind das nur leere Behauptungen? Wer so denkt, soll sich die drei Jahre ansehen, in denen Jesus öffentlich wirkt. Und den Gründonnerstag: die Fußwaschung und das Letzte Abendmahl. Ist dieser Mann ein blindes, wehrloses Opfer? Jeder spürt: Das ist freiwillige, gewollte, überlegene Hingabe. Jesus entscheidet, nicht die Gegner. Das ist Macht. Nicht die brüllende, um sich schlagende Macht der Diktatoren, sondern die ruhige, unauffällige, souveräne Macht eines wahren Königs.
Das Kreuz ist kein Schauspiel, kein Fake. Jesus leidet wirklich; er kommt wirklich ganz unten an. Er kommt bei denen an, die in ihrem Leben ganz unten angekommen sind. Aber er hört nicht auf zu lieben. Die Liebe zu dem Verbrecher, der neben ihm hängt, die Liebe zum Freund, der da unten steht, die Liebe zur Mutter hört nicht auf. Jesus hört nicht auf zu wollen und zu beten. Er verändert seine Beziehungen, aber er bricht die Beziehung nicht ab. Er bleibt fähig, Liebe zu spüren. Aber alles gebündelt in einem einzigen, glühenden Punkt: dem Vater. Gott. Das ist sein Sieg.
Jesus gibt sich hin. Total. Ganz. Liebe. Das kann er, weil der Vater ihm die Macht dazu gibt. Jesus am Kreuz ist die Liebe Gottes zur Welt. Ein unvorstellbares Zusammenspiel von Liebe und Macht. Eine Energie, gegen die eine Atombombe ein Furz ist.
Und diese Energie wird übertragen; sie verästelt sich durch die ganze Schöpfung. Der Verbrecher hat plötzlich die Kraft, zu bereuen. Johannes hat die Kraft, von nun an für Maria zu sorgen; Maria hat die Kraft, das alles auszuhalten; die Jünger und Jüngerinnen finden die Kraft, wieder zusammenzukommen; die 21 koptischen Christen finden die Kraft, ruhig zu sterben. Sie, die einen Partner ertragen, eine alte Verwandte pflegen, Sie finden ihre Kraft. Die unzähligen Christinnen und Christen, die in den letzten 2000 Jahren geliebt haben weit über ihre natürlichen Kräfte hinaus, sie haben geliebt mit der Macht des Gekreuzigten.
Wir können alle scheitern, bis ganz nach unten fallen. Wir können die Würde verlieren, die Menschen einander geben und nehmen. Aber nicht die königliche Würde, die Gott erkennt in uns. Immer dann, wenn er am Ewigen Karfreitag auf das Kreuz seines Sohnes schaut.
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