Karfreitag 2015
Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes
Jesus wird gestoßen, aufgehängt, angenagelt, festgemacht, hingelegt, weggeschlossen.
In der Kreuzweg-Andacht heißt es: „Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt.“ Das steht so nicht im Evangelium, aber es hilft uns zu verstehen: Jesus kann nichts mehr tun. So weit ist es gekommen. So weit hat er es kommen lassen.
Dann nehmen sie den Toten von seiner Mutter weg, wickeln ihn in ein Tuch und legen ihn in ein Grab aus Stein („Josef… legte ihn in ein Grab, das in einen Felsen gehauen war“, Mk). Jesus wird bewegt. Von Feinden und Freunden. Er wird fixiert aus Bosheit und aus Liebe. Das Kreuz hält ihn fest, und das Grab verschließt sich über ihm. Maria hält ihn sanft; die andere Maria versucht ihn festzuhalten. Jesus wird bei der Kommunion in Ihre Hände gelegt oder in Ihren Mund, auf Ihre Zunge, ganz sanft, ganz feierlich. Vorher aber sagen wir alle zusammen, in jeder Messe: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit…“ („Macht“, „potestas“).
Der Karfreitag ist eine eigenartige Mischung aus Nichts-mehr-tun-können und Kraft. Der Karfreitag ist Hoffnung.
Jesus ist heute der Besiegte. Besiegt von den Menschen, besiegt vom Tod. Fixiert am Kreuz. Er kann sich nicht mehr bewegen. Er verstummt. Gleichzeitig ist er der, der sagt: „Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“
Jesus liefert sich aus, Schritt für Schritt. Gründonnerstag: Fußwaschung, Abendmahl, Karfreitag. Diese Auslieferung ist kein Spiel. Ein Nagel, der einem durch die Hand geschlagen wird, ist kein Spiel.
Jesus gibt sich hin, mehr und mehr. Ganz. Hingabe mit Vorbehalt geht nicht; Hingabe nur im Geist oder nur im Körper geht nicht. Hingabe braucht den ganzen Menschen.
Aber Hingabe ist nicht Selbstaufgabe, auch nicht Ergebenheit. Hingabe ist nicht Resignation. Sie ist Vertrauen. – „Wenn ich schwach bin, bin ich stark.“ Hingabe ist Stärke. Das haben die Feinde Jesu nicht verstanden.
Jesus stirbt. Nicht in einem Moment, sondern Schritt für Schritt. Stunde um Stunde. Er wird tot. Tote haben nichts und niemanden mehr: Er wird seiner Kleider beraubt und gibt seine Beziehungen auf. Tote bewegen sich nicht, sie werden bewegt. Er wird vom Kreuz genommen; er wird ins Grab gelegt. Aber sterbend gewinnt er an Kraft. Das Kreuz ist ausweglos – und doch ein Aufbruch.
Wenn Jesus uns in die Arme gelegt wird, bei der Kommunion, ist er ja nicht tot, keine leblose Masse, sondern höchstes Leben. Wir empfangen den Lebendigen.
Der Sinn des Lebens besteht nicht im Sich-fernhalten, sondern im Sich-hineingeben und Sich-hingeben. Unsere Christen-Aufgabe ist es, den Raum zu schaffen, in dem Hingabe möglich ist. Ohne Angst. Das bedeutet auch: Verantwortung für die, die sich uns hingeben, anvertrauen (Kinder). Hingabe nicht ausnutzen. Keinen verraten.
Jesus gibt sich hin, ohne Ende, beim Letzten Abendmahl, am Kreuz, als er den Aposteln den Heiligen Geist einhaucht, seinen Geist. Er gibt sich hin in der Kommunion. Er gibt sich hin, damit wir uns hingeben können. Er „enthöht“ sich, damit wir erhöht werden. Und ihm nahe sein können.
In seiner Nähe, am Karfreitag, geht uns auf, dass im Vergehen Kraft steckt.
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