Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Dienstag der vierten Woche im Jahreskreis, 31. Jänner 2017

08/03/2017 


Im Namen des Vaters + des Sohnes + des Heiligen Geistes

Als Bub von vielleicht zehn Jahren ging ich eine Zeitlang jeden Morgen zur Messe. Ich lief noch bei Dunkelheit los, wenn noch alles still war und niemand auf der Straße. Wenn ich ankam, war die Kirche noch verschlossen, und ich musste draußen warten auf die Klosterfrau, die Sakristei besorgte. Sie ließ mich dann ein, und ich saß lange allein in der Bank, bis endlich die Frühmesse begann. Eines dieser Tage rief die Nonne mich in die Sakristei. Sie öffnete die Tür des Tresors und zeigte schweigend auf die große, goldene, strahlende Monstranz. Ich weiß noch, dass ich ganz ergriffen war vor dieser Pracht. Dann sagte die Schwester mir leise: „Das darf keiner berühren! Nur der Priester.“ Mir schien diese Regel völlig einleuchtend. Ich fühlte mich von ihr nicht gehindert oder ausgeschlossen, im Gegenteil, sie erschien mir ganz naheliegend und einfach. Die Monstranz zu berühren, die die hl. Hostie, die Jesus! tragen soll, wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen. Doch in dem Moment, als die Schwester von der verwehrten Geste sprach, wurde mir klar, wie es nur einem Kind klar werden kann: Es ist etwas Besonderes um die Berührung.

Die Frau im Evangelium berührt Jesus. Von jeher ist sie eine meiner liebsten Gestalten in der Schrift. Ihr Leiden, ihre Scheu, ihr Mut – und dann der Moment, in dem sie berührt. Nein, nicht Jesus selbst, nur sein Gewand. Das alles ist so einfach und einleuchtend und hoffnungsvoll. Und es ist rein. Es ist ja nicht der Reiz des Verbotenen, der diese Frau lockt. Da will nicht eine etwas tun, weil es verboten ist, gerade erst recht. Der Schmerz hat das Herz dieser Frau geläutert, und die Hoffnung führt ihr die Hand, nicht die Gier. Sie hatte „sehr zu leiden“, heißt es. Ihre Krankheit war immer schlimmer geworden; die Ärzte hatten sie gequält und ruiniert, aber nicht geheilt. Hinzukommt etwas, das wir schnell vergessen und so das wahre Leiden dieses Menschen gar nicht verstehen können: Die heiligen Schriften sehen das Blut als Träger des Lebens an. Deswegen regelt das jüdische Gesetz jeden Kontakt mit dem Blut streng und klar. Nach dem Gesetz war die blutflüssige Frau unrein, vom Gottesdienst ausgeschlossen; was sie berührte, wurde unrein. Können Sie die Einsamkeit dieser Frau ermessen? Und können sie erahnen, was es bedeutet, dass sie Jesus berührt? Nein, nicht Jesus. Nur den Saum seines Gewandes. Jene unerhörte Geste, die ihr Echo gefunden hat in der helfenden Geste des Ministranten, der im Moment der Wandlung das Gewand des Priesters fasst und hebt. Jene unerhörte Geste, die jedes Mal wieder zu klingen beginnt, wenn Sie in der Kommunion die hl. Hostie berühren.

„Sie hatte von Jesus gehört“, heißt es. So viel Hoffnung! So viel Schmerz! So viel Mut! So viel Zartheit! So begegnet diese Frau dem Herrn. Jesus wird uns gezeigt als Herr über Krankheit und die Dämonen, als Herr über die Natur und den Tod, als Herr der Geschichte. Erst sein Wort vollendet die Heilung der Frau. Die Berührung allein reicht nicht aus. „Wer hat mein Gewand berührt?“ Die Frau muss sich zeigen, sie muss bekennen, sie muss sprechen. So hart es ihr fallen mag. Denn so erst wird das Wunder offenbar; es wird öffentlich, – und die anderen, wir heute, können glauben. Und der Glaube der Frau selbst wird geläutert. Erst jetzt ist klar: Nicht magische Kräfte haben sie geheilt, sondern der Glaube, der Mut und die Nähe des Herrn. Sie berührt, aber es ist der andere, der heilt.

Es geht nicht ohne jenen Mut, der Grenzen überschreitet und sie zugleich achtet. Es müssen zusammen kommen Gebot und Freiheit, Nähe und Ehrfurcht, Zartheit und Macht.

Es steht nicht in unserer Macht und Entscheidung, Wunder zu erleben wie diese Frau. Wir sind nur ahnungslose Zuschauer, wenn es der Herr nicht anders fügt. Dennoch ist dies auch unsere Geschichte, wie es die Geschichte eines jeden wurde, der da in der Menge stand.

Was heißt das: glauben? Wie mit dem Leiden umgehen? Wie weit treibt mich meine Hoffnung? Treibt sie mich zu einer verzweifelten, zarten, ehrfürchtigen Geste? Oder, noch alltäglicher: Wie berührt man einen anderen? Gedankenlos, derb, zudringlich wie alle die anderen um Jesus? Oder Achtungsvoll? Fürsorglich? Gläubig?

Jesus steht mitten unter den Menschen. Unter den Lauten, Derben, Neugierigen, Gaffenden. Und da, mitten im Tumult, ist mit einem Mal, durch diese arme Frau: Ehrfurcht, Mut, Glaube, Zartheit. Jesus weiß darum.

Zum mündlichen Vortrag bestimmt, verzichtet dieser Text auf Quellenangaben. Jede Vervielfältigung und Veröffentlichung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.

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